Weihnachten 2008

Liebe Freunde,
während meines Aufenthaltes in Europa im letzten Sommer habe ich viele alte Freunde gesehen – und viele Ärzte. Am meisten Zeit beanspruchte die Behandlung des Hautkrebses in meinem Gesicht – aber sie alle haben einen guten Job gemacht. An meiner Nase hat man erkranktes Gewebe entfernt und durch neues ersetzt, das man mir zuvor aus dem Nacken entnommen hatte. Die Wunden sind gut verheilt, aber das transplantierte Gewebe ist gefühllos geblieben: wenn ich die Stelle berühre, spüre ich soviel, als ob ich die Nase eines anderen anfassen würde – nämlich gar nichts. Dafür wachsen an dort jetzt Haare, sodass ich diese Seite meiner Nase nun rasieren muss.
Viele von Euch haben dazu beigetragen, dass Millymolly aus Kisumu zu Besuch nach Holland kommen konnte. Ihr Besuch wurde ein wunderbarer Erfolg, denn sie war eine exzellente Botschafterin Kenias – eine Botschafterin für das neue Kenia: sie vermittelte nicht das übliche Bild des Not leidenden Menschen, der um Hilfe bittet, sondern Millymolly ist eine attraktive Persönlichkeit, mit der man gerne zusammen arbeitet.
Sie wohnte bei meinem Bruder Eugene und seiner Frau Lidy in Waalre, einem Dorf nahe bei Eindhofen und machte von dort aus lange Besuche bei anderen Freunden. Millymolly absolvierte nebenbei Praktika in einigen Krankenhäusern und nahm an einer Wallfahrt zu unserer Lieben Frau von Lourdes/Frankreich teil. Überall hörte man ihr Lachen; sie lachte über die holländische Schale mit „Kroketjes“, die sie Kakerlaken nannte. Es gab aber auch Tränen, weil sie Heimweh hatte und bei einer anderen Gelegenheit: Freunde aus Bergeijk hatten eine ärztliche Untersuchung arrangiert, um zu sehen, ob man ihrem verkrüppelten Bein (Kinderlähmung) helfen kann. An diesem großen Tag warteten einige ihrer Freunde aufgeregt mit ihr auf die Diagnose des Arztes. Nach sorgfältiger Untersuchung durch drei Experten teilte man feierlich mit, dass – leider – keine Operation möglich ist. Tränen liefen Millymolly und den anwesenden Frauen über das Gesicht: die Männer nahmen sie in die Arme, um sie zu trösten.
Später fragte ich Milliymolly, warum sie geweint hat. „Weil ich so glücklich war, dass mein Bein nicht operiert wird“, antwortete sie. Ich hatte Angst davor, mit Nägeln in meinem Knie weit weg von zuhause zu liegen -nein, das wollte ich wirklich nicht.“ Ich denke, das ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie schwierig es für Europäer ist, die Reaktionen ihrer afrikanischen Freunde einzuschätzen.

Einige von Euch haben mich sicher schon von dem Dilemma in den kenianischen Krankenhäusern erzählen hören: sie sind viel zu teuer für gewöhnliche Menschen. Dies kann zu der bizarren Situation führen, die Frank Boomers vor einigen Jahren im Misikhu Mission Hospital im Westen Kenias erlebt hat.
Von den verfügbaren 150 Betten waren 75 Betten von Personen belegt, die gar nicht krank waren. Es waren Patienten, die man dort behandelt hatte, die aber ihre Rechnung nicht bezahlen konnten; also durften sie das Krankenhaus nicht verlassen. Es war eine hoffnungslose Situation und keineswegs eine Ausnahme.
Kürzlich hatte ich eine Idee, wie man dieses Problem vielleicht lösen könnte. Mit unserem neuen OMA-Projekt finanzieren wir eine Krankenhausversicherung für all die Familien, die AIDS-Waisen adoptiert haben. Diese Versicherung ist billig: sie kostet nur ca. 20,00 Euro / Jahr. Es ist deshalb so billig, weil die Regierung die Menschen dazu bringen will, eine solche Krankenversicherung abzuschließen. Und wirklich – über unser OMA-Projekt konnten wir Beziehungen zu dem St. Monica-Hospital in der Nähe von Kisumu herstellen – dort schicken wir die Patienten hin, für die wir eine solche Versicherung abgeschlossen haben: ihre Rechnungen werden von der Versicherungsgesellschaft prompt bezahlt. Wenn sich also nur genügend Menschen selbst versichern könnten, bekämen die Krankenhäuser schneller ihr Geld.
Ihr müsst wissen – eine Versicherung in diesem Land abzuschließen, kann man als wirklichen Durchbruch bezeichnen. Die Menschen hier mögen das nicht. Sie denken: erst bezahle ich für eine Versicherung, dann habe ich Pech und werde gar nicht krank – und habe das Geld praktisch „zum Fenster hinaus geworfen“. Auf diese Weise schlägt das OMA-Projekt zwei Fliegen mit einer Klappe: Kein Wunder, dass viele unserer Freunde dieses Projekt mögen.
Also – wenn Ihr dieses Projekt unterstützen wollt, schickt Eure Spende an „H. Burgman, OMA-Projekt“.
Drei Tage nach meiner Rückkehr im November besuchte ich Kisumu. Das Pandipieri-Centre war beeindruckend: das Gesundheitszentrum glich einem Bienenstock; eine Anzahl von Gebäuden musste für seinen Bestimmungszweck hergerichtet werden – andere Gebäude wurden renoviert. Die „alte Garde“ von Pandipieri geht einen schwierigen Weg. Paul Olaka (80) ist plötzlich gestorben; er war eine gigantische Persönlichkeit, der es immer schaffte, die Menschen zum Zuhören und Lachen zu bringen. Er arbeitete in vielen Projekten mit; die Wegstrecken von einem Projekt zum anderen bewältigte er mit seinem kleinen Motorrad. Paul hatte schwere Herzprobleme.
Josephine Akelo – die große Josephine – hat eine Schlaganfall erlitten, seither ist sie einseitig gelähmt; sie lebt jetzt in dem Haus ihrer Mutter (hinter dem Pandipieri Centre), wo man sich um sie kümmert. Aber sie kann noch immer lachen und kurze Sätze sprechen. Paul Onyango ist ebenfalls gestorben – bitte behaltet ihn in Erinnerung.
In der Zeit meines Umzugs nahm ich auch an Treffen zur Entwicklung und Zusammenarbeit teil – ein großes Thema in der Öffentlichkeit. Ich bemerkte, dass die Menschen nur wenig über die tatsächliche Situation Afrikas wissen. Viel mehr Menschen sollten unsere Rundbriefe lesen! Die meisten haben die simple Vorstellung, dass man mit Geld alle Probleme lösen kann. Ich versuche beständig darauf aufmerksam zu machen, dass finanzielle Unterstützung ein Zeichen für persönliches Engagement und Solidarität sein sollte. Bücher und Zeitungsartikel wurden geschrieben, in denen detailliert beschrieben ist, wie viel Geld verschwendet wird und dass viel stärker kontrolliert werden muss.; man müsse umfangreiche gemeinsame Strukturen bilden, um richtig erfolgreich zu sein.

Aber es gibt auch immer mehr Bücher und Artikel, die kleinere Strukturen für die besseren halten: wir sollten unsere großen Pläne den Afrikanern nicht aufzwingen; wir sollten versuchen, die Menschen dort in ihren Bemühungen zu unterstützen.

Mit anderen Worten: Mehr und mehr Menschen entdecken unsere Pandipieri-Methode auch für sich: In all der Zeit waren wir hier den anderen schon dreißig Jahre voraus.

Viele Freunde fragen mich nach meiner neuen Arbeit. Eines ist klar: Jetzt habe ich die Chance, die Erfahrungen, die ich in den vergangenen dreißig Jahren gemacht habe, an junge Männer weiter zu geben, die sie sich im Nairobi-Centre darauf vorbereiten, Mill Hill Missionare zu werden und dann unseren Spuren zu folgen. Sie leben verstreut in ca. 12 Häusern, wo sie ihren eigenen Haushalt haben. Sie besuchen Theologievorlesungen an der nahen Universität. Das Nairobi-Centre bietet ihnen zusätzlichen Unterricht, der den missionarischen Geist fördern soll. Die Studenten kommen aus ganz Afrika, aus Indien und von den Philippinen – eine faszinierende Mischung.
Zurzeit wohne ich in einem winzigen Raum, werde aber in nächster Zukunft wohl ein bisschen mehr Platz haben. Meine e-mail Adresse ist noch die gleiche. Meine neue Postadresse lautet wie folgt:
Mill Hill Missionaries;
Chelsea Marina Courts;
P.O.Box 865 Uhuru Gardens
00517 Nairobi; Kenya.

Bald endet das Jahr, das für Kenia so schrecklich begann. Viele fragen mich, wie die Situation jetzt ist. Als ich am Flughafen in Nairobi ankam, forderte ich ein Taxi an. Ich grüßte zwei Kikuyu-Ladies in ihrer Sprache und sie fragten mich, ob ich auch ein Kikuyu sei. Als ich sagte: „Ich bin ein Luo“, lachten Sie und rümpften die Nasen. Ich glaube schon, dass ein Prozess in Gang gekommen ist, aber man fragt sich doch, wie durch Barack Obama alle Probleme so wunderbar in den Hintergrund geraten konnten.

Ich wünsche Euch allen ein friedvolles Weihnachtsfest und ein besseres Neues Jahr.

Hans

Sommer 2008

Liebe Freunde,

Die meisten von Euch werden schon gehört haben, dass unser florierendes Projekt „Pandigraphics“ durch ein Feuer komplett zerstört wurde. Lasst mich Euch erklären, wo genau Pandigraphics liegt: Das Pandipieri Centre liegt an der Umgehungsstraße von Nyalenda. Ein lang gezogenes Gebäude dort beherbergt die Räume für das Gesundheitsprogramm, einige Büros, einen Raum für medizinische Beratung, ein Beratungsstelle für Ernährung, die Nähschule, Gästezimmer und – ganz hinten am Ende des Gebäudekomplexes – Pandigraphics.

Auf der Rückseite des Gebäudes hatten Leute aus der Nachbarschaft mehrere Verkaufsbuden gebaut; eine dieser Buden ging mitten in der Nacht in Feuer auf – vermutlich aufgrund eines Defekts in den elektrischen Leitungen, der absichtlich herbeigeführt wurde, um den Brand zu legen – das ist hier nicht unüblich. Die Flammen griffen auf das Dach von Pandigraphics über; in dem Raum waren ca. 20 Computer und weitere elektronische Anlagen untergebracht. Unser Wachmann schlug Alarm und von allen Seiten kamen Nachbarn, um uns zu helfen. Weil es in Pandigraphics teure Anlagen gab, war der Raum mit einbruchsicheren Stahltüren gesichert. Das wurde uns jetzt zum Verhängnis: niemand konnte die Türen öffnen und die Geräte in Sicherheit bringen. Als man endlich den Mann gefunden hatte, der die Schlüssel zu den Türen hatte, waren diese mittlerweile so heiß geworden, dass man sie nicht mehr öffnen konnte. Alarmiert durch unsere Wachmänner erschienen Feuerwehr und die Polizei; sie konnten wenigstens den Rest des Gebäudes retten. In einer Welle der Hilfsbereitschaft räumte ein Heer von Helfern alle Räume und lud alles draußen vor dem Gebäude ab – am nächsten Morgen hatten wir ein riesiges Chaos.

Meine erste Frage war natürlich: war irgendetwas davon versichert? Nein – natürlich nicht! Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir vor fünf Jahren bei verschiedenen Versicherungsgesellschaften um Angebote gebeten hatten. Das Problem hier ist, dass die Versicherungsgesellschaften nicht gerade wild darauf sind, etwas zu versichern, das sich in der Nähe der Slums von Pandipieri und Nyalenda befindet. Sie verlangen hohe Prämien, die jeder Logik widersprechen. Man sagte mir aber, dass das Pandipieri Management gerade dabei war, eine entsprechende Versicherung abzuschließen, und dass auch das dafür nötige Geld einige Wochen zuvor von einem Spender zur Verfügung gestellt worden war. Das Feuer kam einfach zu früh (Ich konnte das kaum glauben!).

Die schwere, einbruchsichere Stahltür war im Zusammenhang mit der Einbruch-/Diebstahlversicherung eingebaut worden; jetzt bei dem Feuer hatte diese Tür einen gegenteiligen Effekt. In einer anschließenden Diskussion des Gemeinderates haben einige Leute eine ganz offensichtliche Maßnahme vorgeschlagen: wir bauen einbruchsichere Stahltüren ein und hängen den Schlüssel direkt neben die Tür, damit er für jeden zugänglich ist, wenn ein Feuer ausbrechen sollte. Das ist natürlich nicht ganz ernst gemeint.

In diesem Zusammenhang noch eine faszinierende Geschichte: Vor zwei Jahren raubte ein Gruppe bewaffneter Räuber die Pandipieri Bank am hellen Tag aus. Die Reaktion des Managements darauf war eine Anweisung an die Wachmänner, Leute, die das Gelände betreten wollen, strenger zu kontrollieren. In der Nacht des Feuers wirkte sich das dann so aus, dass die Menschen von den Verkaufsbuden mit Eimern gerannt kamen und um Erlaubnis bitten mussten, damit sie Löschwasser von unserer Pumpe holen konnten. Der Wachmann verweigerte ihnen den Zutritt, weil er dachte, sie seien Räuber. Hätte er diesen Leuten erlaubt, das Gelände zu betreten, hätten sie das Feuer vermutlich löschen können, bevor es auf Pandigraphics übergegriffen hätte. Dies lehrt uns, dass auch Sicherheitsmaßnahmen sehr gefährlich sein können.

Zurzeit sind drei Seminaristen hier bei uns, um Erfahrungen auf pastoraler Ebene zu sammeln. Einer davon ist Kenianer und kommt aus unserer Diözese, die beiden anderen sind Mill Hill -Studenten – einer aus Indien und der andere aus Kamerun. Diese beide schlafen in unseren Gästeräumen in Pandipieri nahe bei Pandigraphics. In der Brandnacht wachten sie durch die Flammen auf, die unter ihren Fenstern wüteten – es war ihre zweite Nacht in Pandipieri.

Hatten wir noch Glück in all dem Unglück? Auf jeden Fall ! Leicht hätte das ganze Pandipieri-Gebäude abbrennen können: drei Besucherzimmer, zwei Räume für die Nähschule, zwei Zimmer für medizinische Beratung und fünf Verwaltungsräume. Ein weiteres Glück war es, dass Michael Maunda, der Leiter von Pandigdraphics, es schaffte, seinen großen Computer zu retten. Fast alle wichtigen Dateien sind auf diesem PC gesichert. Und das größte Glück: es wurde niemand verletzt. Es war ein kleines – vielleicht sogar ein großes – Wunder, dass das ganze Gelände von Helfern aus der Nachbarschaft nahezu wimmelte – alle wollten uns helfen, soviel wie möglich in „ihrem“ Pandipieri Centre zu retten; in solchen Momenten ist es durchaus normal, dass vieles auch gestohlen wird; aber unsere Helfer stahlen nichts – nur einige neue Fußballtrikots verschwanden. Alles in allem beläuft sich der Schaden auf ca. 4,5 Mio. kenianische Schilling – das entspricht ca. Euro 45.000,00.

Es ist nicht nur der finanzielle Verlust, der weh tut. Es war wirklich hart mit anzusehen, wie ein schönes und viel versprechendes Unternehmen in Flammen aufgeht. Wir wollten Pandigraphics vergrößern und in eine Gesellschaft umwandeln. Einen Tag nach dem Brand zog Michael mit seinem Computer auf ein freies Plätzchen im Kindergarten und nahm seine Arbeit wieder auf. Zwischenzeitlich hatten sich viele Freunde bei uns gemeldet und uns Mut gemacht.

Was gibt es sonst noch zu sagen? Vor einigen Jahren konnten wir ein schönes Gebäude für unsere Straßenkinderprogramme bauen – dank der Hilfsbereitschaft von vielen Spendern. Dann forderten uns diese Spender auf, unsere Hilfe nicht nur auf Jungen zu beschränken, sondern auch Mädchen in die Programme aufzunehmen.

Wir versuchten zu erklären, dass es so gut wie keine Mädchen unter den Straßenkindern von Kisumu gibt, aber man glaubte uns das nicht. Wir konnten ahnten, dass sie dachten: „Wenn es bei Euch keine Mädchen gibt, dann seht zu, dass sich das ändert.“

Wir hatten Angst, die Spender zu verärgern und nahmen deshalb einige Mädchen im Gebäude bei unseren Straßenkindern auf. In weniger als nichts entwickelte sich die Situation zu einem Tollhaus: Kämpfe und versuchte Raubüberfälle waren an der Tagesordnung. Wir siedelten die Jungen daraufhin in das Nyalenda Centre um und reservierten das neue Gebäude in Pandipieri für Mädchen. Das Resultat dieser Geschichte ist, dass in dem großen neuen Gebäude in Pandiperi zurzeit gerade einmal sieben Mädchen leben, während das Nyalenda-Centre völlig überfüllt ist. Soweit kann es kommen, wenn das Management sich davor fürchtet, die Unterstützung durch Spender zu verlieren.

Seit kurzem weht ein neuer Wind durch KUAP (Kisumuo Urban Apostolate Programme). In den vergangenen Jahren wurde viel rationalisiert und professioneller gearbeitet, sodass die Verbindung zur Gemeinde und die Bindung an das Evangelium ernsthaft aufgeweicht wurden. Die KUAP-Leitung ist sich dieser Tatsache bewusst und organisierte eine Klausurtagung (1 Woche) in Eldoret, um zu sehen, wie man damit umgehen und das Blatt noch wenden kann. Langsam aber sicher kehrt nun der alte „Geist Pandipieris“ zurück und mit ihm auch das enthusiastische Engagement von Gabriel, dem KUAP-Manager. Es geht uns wieder gut. Wann immer ich in den letzten Monaten Pandipieri besuchte, kehrte ich mit einem tiefen Gefühl der Zufriedenheit zurück: Der Ort gleicht einem großen Bienenstock. Ich glaube, dass das Managment sehr gut arbeitet. Ende Juni hatten wir unser jährliches Treffen; es fand in den schönen Räumen der Haushaltsschule in Nyalenda statt. Mehr als 130 Teilnehmer aus ganz Kisumu waren da – KUAP ist zu einem bedeutenden Bestandteil dieser Stadt herangewachsen.

Soweit es mich betrifft, bin ich jetzt dabei umzuziehen und packe traurig meine Habseligkeiten. Am Sonntag, 13. Juli werde ich nach Nairobi in eine kleine Mietwohnung ziehen. Abschiedsworte klingen in meinen Ohren: große wie die von der gemeinsamen Feier mit der Gemeinde am 6. Juli und der Abschied von KUAP am Freitag, 7. 11. aber auch kleine Abschiedsworte von der Gemeindebasis. Es waren traurige – aber auch ermutigende – Feiern; denn sie zeigten, wie viel wir erreicht haben.

Ich werde auch in Zukunft versuchen, Kisumu einmal im Monat zu besuchen; auch bin ich weiterhin Mitglied im KUAP -Aufsichtsrat und werde permanent per e-mail mit Pandipieri in Kontakt bleiben. Ich bin traurig, denn ich werde Kisumu vermissen; nicht nur Pandipieri- die ganze Gemeinschaft dort wird mir fehlen: die glücklichen Feiern, die jungen, tanzenden Mädchen mit den ernsten Gesichtern und ihre anmutige Art, sich zu bewegen. Ich höre, dass hohe kirchliche Würdenträger aus Rom, die zu Besuch in Kenia sind, skeptisch sind, ob das alles nicht schon zu fröhlich ist, und ob die Menschen hier nicht nur zur Kirche gehen, um die schönen Tänze zu sehen. Mag sein – aber mit dem gleichen Argument könnte man auch Mozarts Musik aus den Kirchen verbannen. Es ist wirklich so: ließe man die Experten aus Rom über die kenianische Liturgie entscheiden, wäre das so, als ob man den Arzt einer Intensivstation damit beauftragt, eine Fußballmannschaft der Bundesliga zu trainieren.

Ich danke Euch für Eure vielfältige Unterstützung, es sind die Samenkörner für eine bessere Zukunft für viele Menschen

Hans

Ostern 2008

Liebe Freunde,

Wenn Ihr meine Ausführungen über die Kultur Ostafrikas im September 2007 sorgfältig gelesen habt, werdet Ihr nun mit einem besseren Verständnis der aktuellen Verhältnisse hier belohnt; Ihr werdet die Gründe für den Umbruch, der Kenia jetzt zerreißt, besser verstehen – obgleich das keinen von Euch glücklicher machen wird.

In einer Kultur der Macht – ich habe Euch das erklärt – wird die List zu einem festen Bestandteil der Weisheit; daraus resultiert, dass gegenseitiges Vertrauen unmöglich wird. Zurzeit sollten wir wirklich von den Dächern schreien: „Das geschieht, wenn Du glaubst, dass es richtig ist, andere zu betrügen – egal, ob das die Wahlen oder einen anderen Bereich des Lebens betrifft!“ Aber niemand spricht offen darüber, wenn er andere durch Betrug überlistet; so viele Menschen halten das in ihrem Innersten für richtig. Was die Verlierer so wütend macht, ist – glaube ich – die Tatsache, dass sie von Ihren Gegnern überlistet wurden.

Bis zu einem gewissen Grad ist die Verfassung, die dem Präsidenten alle Macht gibt, schuld an dieser Katastrophe. Gerade in den letzen Jahren waren Hunderte von Abgeordneten mit der Aufgabe beschäftigt, diese Verfassung zu ändern; aber sie konnten sich nicht einigen. Immer gab es Abgeordnete, die der Meinung waren, dass es ein guter afrikanischer Brauch ist, den Präsidenten mit totaler Macht auszustatten; und dann folgen Wahlen, deren Ergebnis nahezu 50:50 für beide Parteien ausgeht. Selbst ohne Betrug wäre hier die Hölle los gebrochen – weil einfach viel zu viel auf dem Spiel steht.

Das Kisumu-Center wurde gründlich geplündert. In Mombasa hat man einen Weg gefunden, die Plünderer zu zwingen, ihre gestohlene Beute zurück zu geben. Dort beruft man sich auf eine Art islamischen Fluch: Wen auch immer dieser Fluch trifft, der muss gestohlene Dinge sofort zurückgeben, anderenfalls kann er nicht mehr auf die Toilette gehen. Etliche Plünderer spürten den aufziehenden Ärger und gaben schnell alles zurück, solange noch alles in Ordnung war. Haben wir Christen nicht so eine ähnliche Einstellung? Auf jeden Fall gibt es für dieses Verhalten eine gewisse Zustimmung und einen Markt.

Der Mut einiger unser Luo-Gemeindemitglieder berührt mich; sie trauen sich, Kikuyu-Familien trotz der Drohungen der Krawallmacher Schutz zu geben. Ich habe diese Menschen gebeten, sich die Namen dieser Rowdies zu merken, damit wir zur gegebenen Zeit eine Namensliste erstellen können. Viele unserer Gemeindemitglieder haben einen sehr guten Charakter, aber ihre Angst vor Drohungen ist sehr groß.

Hinsichtlich der Schüsse auf Menschen erklärte der Chef der Polizei in Kisumu kürzlich in einem Interview, dass die Verfassung den Polizisten das Recht gibt, auf jeden zu schießen, der sich der Festnahme widersetzt. Klar – jeder rennt weg, wenn er die Polizei sieht; nach den Aussagen des Polizeichefs kann die Polizei somit auch auf jeden schießen. Wohl gemerkt – ich glaube nicht, dass sie das tut. Auch die Polizisten leben in Angst und reagieren verzweifelt.

Im Radio hörte ich ein Interview mit einem 18-jährigen Jungen, der an der Brandstiftung der Kirche in Eldoret beteiligt war, in der so viele Menschen umgekommen sind.
Journalist: „Wie fühlst Du Dich jetzt, nachdem Du daran beteiligt warst, so viele Menschen zu verbrennen?“
Junge: „Ich fühle mich schlecht und sehr schuldig: Ich habe meine Freunde getötet.“
Journalist: „Wenn die Kikuyus zurück kommen würden – würdest Du mit ihnen wieder in Frieden leben wollen?“
Junge: „Sicher, ich hätte keine Probleme mit ihnen. Aber die Kikuyus müssen nachgeben und zurücktreten.“
Journalist: „Wenn Kibaki das nicht tut – würdest Du wieder Kikuyus töten?“
Junge: „Ja, dann müssten sie getötet werden.“

Die Gewalt hat mehrere Phasen durchlaufen. Zuerst war es ein spontaner Ausbruch grimmiger Wut, als man bemerkte, dass die Wahlen manipuliert worden waren. Sehr schnell veränderte sich diese Wut in Rassenhass gegenüber Nachbarn und tätlichen Angriffen. Danach kam die Kriminalität. Alte Wunden und Trennungsgräben brachen wieder auf, leere Häuser wurden geplündert. Banden zogen von Haus zu Haus, um Kikuyus aufzuscheuchen und zu ermorden. Die Regierung verlor die Kontrolle. Kürzlich trat das Geschehen in eine neue Phase. Letzte Nacht fingen Leute von Nyalenda einen Mann, von dem sie wussten, dass er ein marodierender Gangster ist. Sie schnitten ihm die Hände und Füße ab und überließen ihn dann einfach dem Tod; als er am nächsten Morgen noch immer am Leben zu sein schien, verbrannten sie ihn in einem Haufen von Autoreifen. Solche Dinge passieren auch an anderen Orten: Menschen aus dem Slum – provoziert bis über das Maß dessen, was man aushalten kann – lynchen ihre Peiniger. Ich habe Eltern darüber klagen hören, dass sie die Kontrolle über ihre Kinder verloren haben.

Den größten Schaden aber haben Geist und Seele der Kenianer genommen. Es ist schecklich, was sie einander antun. Mein Kisii-Freund Charles (der Automechaniker, der mit uns die Wallfahrten gemacht hat) erzählte mir, dass er es gerade noch geschafft hat, mit seiner Frau und den sieben Kindern zu entkommen, als man sein Haus in der Nähe des Magadi-Centers plünderte und in Brand setzte; die Frauen in der Nachbarschaft nahmen die Kleider seiner Frau an sich und probierten, ob sie passten. Die Luos sprechen heute über die Kikuyus, wie sie früher über die verfolgten Juden sprachen: „Das ist keine schöne Geschichte, aber die haben es verdient.“ Kisumu ist jetzt „Kikuyu-frei“ und keiner scheint das zu bedauern.

Nachfolgend einige beschämende Aussagen aus einem Interview des Journalisten Koert Lindijer (Holländische Zeitung NRC) mit einem gewissen Paul Otieno. „Sobald wir nur eine eine fragwürdige Bemerkung über Kibaki hören, fangen wir an zu plündern. Unser nächstes Ziel ist das letzte Hotel in Kisumu, das Eigentum der Kikuyus ist. Wir sind fast ein bisschen süchtig danach, „umsonst einzukaufen“. Es ist nicht schön, was hier in Kisumu passiert, aber es eröffnet auch neue Möglichkeiten. Wir sollten nicht bedauern, dass die Kikuyus jetzt weg sind; sie haben sich hier selbst bereichert. Soweit es die Regierung betrifft, gab es eine gewisse Diskriminierung der Luos. Jetzt können wir – die Luos – ihre Plätze einnehmen.“ Soweit Koert Lindijer schreibt, will Otieno ein neues Kenia gründen; ein Kenia, in dem ethnische Gruppen nahe beieinander leben – nicht miteinander, wie es nach der Unabhängigkeit Kenias mehr und mehr der Fall war. „Wir müssen wieder ganz zurück dahin gehen, wo wir angefangen haben.“ Meiner Meinung nach propagiert Paul Otieno ganz einfach die Rassentrennung. Und er ist nicht „irgend jemand“: er ist der Finanzexperte und ein wichtiges Vorstandsmitglied von KUAP.

Lasst uns nun von etwas Fröhlicherem sprechen. Die Bedeutung guter persönlicher Beziehungen wurde durch einen Besuch von 24 unserer Jugendlichen in Holland im Dezember auf ganz besondere Weise in den Vordergrund gerückt. Es war ein erinnerungswürdiges Abenteuer: Kenianer im Schnee, Kenianer auf dem Eis, Kenianer, die sehen, wie sehr sich die Menschen in Holland gegenseitig Vertrauen schenken. Fides hat ihre Erfahrungen aufgeschrieben. Aber sie hatten auch Bedenken, dass sie heil wieder zuhause ankommen. Was für eine Erlösung für mich, als ich sie alle aus dem Bus steigen sah – alle lachten ! Aber das war noch nicht das Ende der Geschichte. Um ihr Visum zu bekommen, mussten sie der holländischen Botschaft in Nairobi versprechen, dass sie sich nach ihrer Rückkehr sofort wieder in der Botschaft zurück melden. Wir hatten geplant, dass ihr Bus auf der Heimfahrt nach Kisumu zu diesem Zweck bei der Botschaft in Nairobi hält. Aber als sie nach Nairobi kamen, herrschte dort das pure Chaos. Glücklicherweise konnte sich der Bus einem Konvoi anschließen und so kamen sie – begleitet von einer Polizeieskorte – doch noch nach Kisumu. Aber es stand natürlich nicht zur Debatte, dass der Konvoi bei der holländischen Botschaft in Nairobi Halt machen würde. Die Gruppe versuchte, die Botschaft frühmorgens telefonisch zu informieren, aber sie erreichen niemanden dort. Als sie dann in Kisumu waren, sammelten wir ihre Pässe ein und mussten sie von einem Boten nach Nairobi bringen lassen, um sie dort der Botschaft zusammen mit einem unterzeichneten Dokument vorlegen zu lassen, in dem bestätigt wurde, dass alle Jugendlichen wieder nach Kenia zurückgekehrt waren. Aber als der Bote von Mill Hill der Botschaft in Nairobi die Pässe vorlegte, wurde er hinaus gejagt mit den Worten, dass man sich an die Regeln halten müsse: Jeder müsse persönlich vor der Botschaft zu erscheinen und sich zurück melden. Frank und Anne Boomers waren an diesem besagten Tag auch in Nairobi; ihr Konvoi wurde aus dem Hinterhalt angegriffen; Verbrecher hatten bereits Reifen unter den voll besetzten Bus gelegt und sie angezündet; sie entkamen fast alle – es gab „nur“ ein Todesopfer, als der Fahrer mit Vollgas davon fuhr. Es war Krieg – aber einige Leute in der Botschaft schienen auf einem anderen Planeten zu leben. Pater Gerry schrieb darauf hin einen scharfen Brief und zehn Tage später war die Angelegenheit erledigt – auch durch die Vermittlung einiger Botschaftsangehöriger mit gesundem Menschenverstand.

Soweit es meine persönliche Zukunft betrifft, hat der Erzbischof zu Weihnachten meine Bitte akzeptiert, in das Ausbildungszentrum nach Nairobi zu gehen. Am 1. Januar hatte ich mit meinem direkten Vorgesetzten eine diesbezügliche Besprechung. Jetzt liegt es an mir, einen Zeitplan zu erarbeiten. Es ist hart zu gehen, solange die Zustände in unserer Gemeinde so von Tumulten geprägt sind. Deshalb werde ich das alles noch bis Anfang Juli verschieben – und selbst dann wird es mir schwer fallen, von hier weg zu gehen.

Noch einige Neuigkeiten über unser AIDS – Orphans Projekt (OMA-project) (orphan = Waise / Anm. d. Übers.) Wir versuchen, es trotz des herrschenden Chaos weiter voran zu treiben. Die Gemeinde hat nun eine Krankenhausversicherung für 85 Familien eingerichtet, bei denen die Großmutter als Familienoberhaupt gilt; dies betrifft insgesamt 420 AIDS-Waisen. Zurzeit organisieren wir kostenfreie poly-klinische Behandlungen und die entsprechende Verwaltung (Herausgeber: nur 20 Euro/OMA-Familie und Jahr; Beiträge können auf Oosterbeek-Konto Stichwort „Burgman, OMA-project“ überwiesen werden).

Es gibt einen interessanten Nebeneffekt. Aufgrund der Unruhen steigen die Lebensmittelpreise in Schwindel erregende Höhen. Das betrifft die Armen, ganz besonders die Witwen. Dank des OMA- Projektes gibt es plötzlich eine aussagekräftige Liste mit den Namen dieser bedürftigen Witwen. Das ermöglicht es uns, im Notfall anhand dieser Liste gezielt Unterstützung zu leisten.

Danke für Euer Interesse und Eure Anteilnahme. Ich wünsche Euch allen ein gesegnetes Osterfest.

Viele Grüße

Hans Burgman

Januar 2008

Liebe Freunde,

Danke für all Eure Briefe und Eure Anteilnahme; lasst mich Euch einen Überblick über die aktuelle Situation hier geben:

Beginnend mit mir selbst: Mir geht es gut; uns allen hier auf dem Gelände um die Kirche herum geht es gut. Es ist, als lebten wir auf einer Oase des Friedens mitten in einem barbarischen Dschungel. Während ich Euch hier diesen Brief schreibe, rattern draußen auf der Straße die Lastwagen mit Soldaten vorbei – so nah, dass mir das Knallen der Tränengasgranaten in den Ohren dröhnt. Millymolly hat mich gerade angerufen und mir mitgeteilt, dass die Straße nach Pandipieri vor ihrem Haus schon wieder durch brennende Autoreifen und lärmende Hooligans blockiert ist. Autos können keine mehr passieren; nur Fußgängern ist der Durchgang erlaubt, vorausgesetzt, dass sie keine Taschen oder Gegenstände bei sich tragen. Ich vermute noch – vorausgesetzt, dass es nicht um Kikuyus handelt.

Letzte Nacht wurde ein Kikuyu in unserer Nachbarschaft ermordet. Gestern morgen stand ich auf der kleinen Terrasse bei unserer Küche und sah schwarzen Rauch von brennenden Barrikaden aufsteigen. Links und rechts von mir und geradeaus hörte man das Dröhnen der Tränengasgranaten und die scharfen Schüsse aus Gewehren. Draußen auf der Straße sprach ich dann mit Müttern, die in großer Eile waren, um Ihre Kinder aus der Schule abzuholen. Später hörte ich dann, dass zwei Menschen getötet worden waren: einer von ihnen war der Wachmann der Lion’s High School. Eine Bande hatte das Gelände der Schule besetzt, um die Schüler aus der Schule zu jagen und – vermutlich, um die Schule in Brand zu setzen. Als dann die Polizei eintraf, erschossen Sie den Wachmann Warum ? Machen wir alle nur noch Fehler ?

Die Menschen hier haben vor vielen Dingen große Angst – und sie haben allen Grund dazu; sie sind wie eine Herde von Schafen, die von einigen Hyänen angegriffen werden. Aber diese Angst vergrößert die Gefahr noch. Immer wieder erlebe ich, wie sich selbst gegenseitig Gerüchte erzählen und damit noch mehr in Angst versetzen.

Es gibt Gegenden in diesem Land, wo die Zustände furchtbar sind – jeden Tag werden hier Dutzende von Menschen ermordet. Gestern rief mich Tabu an; sie lebte als kleines Mädchen in Pandipieri. Tabu lebt jetzt in Molo und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Dort in Molo hat Tabu mit unserer Hilfe und mit dem Geld von der Versicherung nach ihrem Autounfall fünf Häuser für Straßenkinder errichtet. Als sie mich anrief, saß sie mit ihren Kindern inmitten einer wütenden Bande von Kikuyo Hooligans, die drohten, ihr Haus in Brand zu setzen. Weit und breit war keine Polizei zu sehen, die Straße war unpassierbar und keiner, den sie telefonisch um Hilfe rufen wollte, war zu erreichen.
Dann erwischte sie mich und sagte ganz leise: „Hallo, alter Junge, die Dinge laufen hier gerade gar nicht gut.“ Was sollte ich tun ? Sie war mehr als 200 km weg von mir, die Straßen blockiert und keiner war zu erreichen. Bis jetzt weiß ich nicht, ob sie noch am Leben ist.

Veronica Nieri, die Mutter von Tabitha (das ist das Mädchen, das seinen Bruder vor vielen Jahren unabsichtlich getötet hat), ist eine Kikuyu und dadurch auch in Gefahr. Sofort nach Ausbruch der Unruhen nach der Wahl hat man ihr Restaurant niedergebrannt und sie suchte Schutz bei uns. Ihr Mann Paul ist seit seinem Schlaganfall schwer behindert und geht nicht mehr aus dem Haus. Aber nach einigen Tagen kam auch er zu uns. Durch seine Krankheit konnte er aber nicht auf dem Boden des Gemeindehauses schlafen und unser „Guter Samariter“ Luo lud ihn zum Schlafen in sein Haus ein. Ich musste ihn jeden Tag nach dem Einbrechen der Dunkelheit heimlich zu Luos Haus bringen. Vor zwei Wochen gelang den beiden die Flucht in die Umgebung von Molo, wo ihnen ein kleines Grundstück gehört. Aber seitdem ist gerade dort auch die Hölle los; es sieht so aus, als wären die beiden vom Regen in die Traufe gekommen. Auch von ihnen habe ich danach nichts mehr gehört und ich weiß nicht, ob sie noch am Leben sind.

Im Moment gehen Banden von Haus zu Haus, um versteckte Kikuyus aufzustöbern und sie zu töten. Autos und Busse werden auf den Straßen angehalten und den Fahrern und Mitfahrern droht das gleiche Schicksal.

Es ist keine Lösung in Sicht. Die politischen Führer leben in teuren Hotels in Nairobi und suchen nach einem Sündenbock für die derzeitige Situation. So zumindest sieht es für uns aus. Das Leben in Kisumu Stadt ist wie gelähmt. Die Schulen sind geschlossen, die Geschäfte öffnen nur sporadisch. Ich kann nicht viel tun. Ich schlafe viel, denn ich bin sehr müde.

Meine Pläne bezüglich meines Umzugs nach Nairobi liegen auf Eis. Ursprünglich wollte ich am Sonntag nach Ostern nach Nairobi umziehen. Aber in dieser kritischen Situation kann ich meine Gemeinde nicht alleine lassen – also habe ich meine Pläne erst einmal auf Juli verschoben.

Viele Grüße

Hans Burgman

Weihnachten 2007

Liebe Freunde,

Oosterbeek sollte während meines Heimaturlaubs im letzten Sommer eigentlich mein Zuhause sein; aber aufgrund der Bautätigkeit war kein Zimmer für mich frei. So kam es, dass Zelhem in der Nähe von Doetinchem für diesen Sommer meine Heimat wurde. Ich hätte nicht mehr Glück haben können. Ellie Eijkholt überließ mir den zweiten Stock ihres Hauses, kochte für uns zwei, wusch meine Wäsche und bestand darauf, dass ich ihr Haus als meines ansehen sollte. Ich konnte kommen und gehen, wann immer ich wollte. Das war fast noch besser, als verheiratet zu sein – das waren die Freunde Pandiperies in Aktion in dem kleinen bäuerlichen Dorf, wo ich keinerlei Probleme mit der Sprache hatte, wo jeder jeden kennt und man einander grüßt – dort habe ich mich wirklich zuhause gefühlt. Unzählige Fußpfade führen durch eine malerische Landschaft; Ellie und ich machten viele lange Spaziergänge: Natürlich Nordic Walking. Ellie verlor keine Zeit mich darauf hinzuweisen, dass ich – soweit das Nordic Walking betrifft – ein Stümper bin. Dank der Hilfe von freundlichen Experten verbesserte ich meine Technik und meinen Laufstil auf ein gutes Niveau.

Ich nahm die Gelegenheit wahr und besuchte so viele Freunde wie möglich – leider konnte ich trotzdem nicht so viele besuchen, wie ich eigentlich vorhatte. Alte Freunde zu treffen, ist sicher eine der größten Freuden des Lebens. Mit großen Interesse hörte ich sie von ihren religiösen Abenteuern erzählen; und es brachte mir neue Einsichten: Ein alter Freund (waren es wirklich 40 Jahre her, seit wir uns zum letzten Mal gesehen hatten ?) erzählte mir in einem Roosendaal-Café um halb zehn Uhr morgens, dass Religion nun wirklich kein notwendiger Aktivposten des Lebens sei, und dass man genau so gut ohne Religion leben könne. Das fand ich irgendwie faszinierend; aber trotzdem glaube ich nicht, dass der in Holland weit verbreitete „religiöse Analphabetismus“ gut ist. Alle Konflikte der heutigen Zeit haben ihre Wurzeln in der Religion; und die, die nichts über Religion wissen, disqualifizieren sich selbst – sie können nichts zur Lösung dieser Konflikte beitragen. Ich muss gestehen, dass es mich tief schockiert hat zu sehen, dass fast alle Gleichnisse und das Evangelium, das uns Jesus hinterlassen hat, den meisten Jugendlichen nahezu unbekannt ist.

Ich erinnere mich an einen jungen Holländer von 25 Jahren, der vor einiger Zeit Pandipieri besuchte; ich fragte ihn: „Würde es Dir keine Sorgen machen, wenn Deine künftigen Kinder gar nichts über den Guten Samariter wissen?“ „Nein, es gibt nichts, was mich weniger interessieren würde“, antwortet er. Es scheint, als ob nun die Zeit gekommen ist, in denen es den Eltern völlig egal ist, ob ihre Kinder jemals etwas über den armen Lazarus und den reichen Mann, den Pharisäer und den Steuereintreiber im Tempel erfahren. Oder über den Mann, der einen verborgenen Schatz im Feld fand, die Arbeiter der elften Sunde oder die fünf dummen Brautjungfern.

Viele unserer Besucher kennen Nancy, die Frau, die für unseren Workshop „Liturgische Stickerei“ verantwortlich ist. Vor vielen Jahren war sie Schülerin unserer Haushaltungsschule in Pandipieri. Als ich diesen Workshop ins Leben rief, empfahl mir die damalige Leiterin Nancy als seine ihrer besten Näherinnen. Im Jahre 2003 nahm Nancy an der abenteuerlichen Wallfahrt von Kampala nach Kisumu teil und es entwickelte sich eine feste Freundschaft zwischen ihr und den Freunden Pandipieris. Danach probierte sie unerschrocken, sich im Gastronomiebereich selbständig zu machen. Im vergangenen September mussten wir erfahren, dass Nancy bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Sie hatte ein großes Begräbnis und wir werden ihr in unseren Herzen ein liebevolles und dankbares Andenken bewahren

Kürzlich ist etwas passiert, was Anlass zum Nachdenken gibt. Im Dezember waren 20 Jugendliche von hier nach Holland – eine Art Schüleraustausch; die Kommission, die diesen Austausch vorbereitet, musste ein Mädchen aus ihrer Mitte auswählen, die die Gruppe nach Holland begleiten wird. Hierfür gab es zwei Kandidatinnen. Schier endlose Diskussionen führten dazu, dass man beide Kandidatinnen für gleichermaßen geeignet hielt. Um dieses Patt zu brechen, beschloss man, den Kreis der Kandidaten zu erweitern. Die Kandidatin A erhielt bei der Abstimmung die meisten Stimmen – damit sollte eigentlich alles klar sein. Aber – wer hätte das gedacht? Am Tag, als das Ergebnis der Abstimmung bekannt gemacht werden sollte, entschied die Kommission, den Beschluss zu ignorieren und die Kandidatin B nach Holland zu schicken.

Das führte natürlich zu großem Ärger. Es folgten anonyme Briefe und Korruptionsvorwürfe. Für mich ist das jedoch ein typisches Beispiel dafür, was hier täglich passiert. Ich weiß, dass die Mitglieder dieser Kommission nicht korrupt sind. Wieso also ein solcher Denkfehler? Warum glaubten sie, ein eindeutiges Wahlergebnis derartig manipulieren zu können? Ich bin mir sicher, dass es an ihrer Angst lag, kritisiert zu werden: Ihr Verfahren, unter so vielen Personen eine Auswahl zu treffen, um eine Pattsituation abzuwenden, ist für Menschen mit Entscheidungsbefugnis nicht der richtige Weg, zu einer Entscheidung zu gelangen. Eine solche Entscheidung muss diskutiert werden, ein Streit muss ausgetragen werden. Deshalb können Sitzungen hier auch stundenlang dauern. Aus dem gleichen Grund werden einmal getroffene Entscheidungen so selten in die Realität umgesetzt und Abstimmungsergebnisse manipuliert. Die ganze Gruppe ist erbost und die alte Freundschaften vergessen. Die Kommission glaubt, dass solche Vorgänge nicht bekannt werden, wenn man solche Dinge in geheimen Abstimmungen entscheidet. Macht duldet keine neugierigen Mitwisser.

Soweit es meine persönliche Zukunft betrifft, ist jetzt die Zeit für eine ernsthafte Unterhaltung mit unserem Erzbischof gekommen. Ich sollte ihm wohl einen Zeitplan vorlegen. Ich denken, ich sollte versuchen, nach Nairobi zu gehen -irgendwann zwischen Neujahr und Ostern. Ich habe keine Ahnung, wie er darauf reagieren wird. Freunde fragen mich immer wieder, wer dann hier ihre Interessen bei KUAP vertreten wird. Ich will Euch heute ganz klar sagen, dass es mein Plan ist, diese Aufgabe auch weiterhin zu wahrzunehmen. Auch jetzt schon kommuniziere ich in nahezu allen Angelegenheiten per E-mail mit KUAP. Es macht keinen Unterschied, ob ich das von Kisumu oder von Nairobi aus tue. In der Zwischenzeit haben die neuen Leute an der Spitze von KUAP wirklich hart gearbeitet. Wir sollten ihnen unser Vertrauen schenken.

Aus dem heißen Kisumu wünsche ich Euch allen eine kühle Weihnacht und Neues Jahr voller Liebe. Ich hoffe und wünsche, dass man den Kindern dieser Welt die alte Geschichte vom Jesuskind in Bethlehem weiter erzählt.
Hans

Sommer 2007

Liebe Freunde,

die Aktivitäten der kriminellen, mafia-ähnlichen
Organisation Mungiki verursachen viel Unruhe
im Gebiet der Kikuyus. In einer Hinsicht ist
Mungiki fast die Wiederauferstehung der Mau Mau,
in anderer Hinsicht gleicht die Organisation einer
religiösen Sekte. Sie machen schreckliche Dinge.
Die Polizei versucht, sie mit Mitteln gegen den
pb

Terrorismus zu bekämpfen und es ist
beunruhigend, Tag für Tag damit konfrontiert
zu werden, wie die Polizei Verdächtige
niederschießt. Nur wenige hier sind der
Ansicht, dass dies der richtige Weg ist, die Mungiki
zu bekämpfen. Glücklicherweise sind die
Menschen im Westen Kenias (noch) nicht betroffen.

In der Zwischenzeit sind wir weiter mit unserem eigenen „Krieg“ beschäftigt – hauptsächlich mit dem Kampf gegen die Ratten. Wenn man eine tötet, schafft man Raum für die nächste. Vor zwei Wochen versuchte eine große Ratte ein Loch im Dach, durch welches die Elektroleitungen geführt werden, zu vergrößern; dabei wurde sie von einem Stromschlag und den Funken getötet – Blut tropfte herunter. Alle Leitungen mussten dann neu in Kabelkanälen verleget werden. Bei uns sind die Dächer alt und bestehen nur aus Brettern. Die Reparaturarbeiten, das Hämmern und Schlagen hüllte uns in Wolken aus Staub und Farbe – eine fürchterliche Drecksarbeit.

Die Zeit verfliegt – in einigen Wochen werde ich nach Holland reisen. Mehr noch: in einigen Monaten beginne ich mein achtzigstes Lebensjahr. Viele fragen mich, wie lange ich noch hier in Kenia arbeiten will. Es ist zwecklos zu ignorieren, dass sich meine Zeit hier dem Ende zuneigt; trotzdem kann ich mir im Moment noch nicht vorstellen, zurück nach Holland zu gehen. Hier in Kisumu geht es um viel mehr als um mein patriarchalisches Alter. Schon im vergangenen Jahr hat uns unser Bischof informiert, dass nun die Zeit gekommen ist, die Gemeinde zu „afrikanisieren“. Da wird einem auf einmal klar, dass man sich nach Alternativen umschauen muss. Davon einmal abgesehen, weht jetzt ein anderer Wind in den oberen Etagen von KUAP-Pandipieri. Es ist meiner Gesundheit nicht mehr zuträglich, an der Spitze von KUAP –Pandipieri zu stehen und auch für die neuen Leute, die die Verantwortung übernehmen, ist nicht angenehm, wenn sie ständig mit meiner Präsenz rechnen müssen.

Meine Überlegungen sind folgende: Ich würde gerne in Kenia bleiben, um auch weiterhin nützliche Arbeit zu leisten – am liebsten in der Nähe von Kisumu, um KUAP-Pandipieri aus nächster Nähe so gut wie möglich unterstützen zu können. Man hat mir das interessante Angebot gemacht, nach Nairobi zu gehen, um beim Aufbau des neuen Ausbildungszentrums und der Ausbildung der neuen Mill Hill Missionare zu helfen, die aus Afrika, Asien und vielleicht auch aus Europa kommen. Seit sich Mill Hill dazu durchgerungen hat, Kandiaten aus der „Dritten Welt“ zu akzeptieren, und seitdem die Ausbildung von London nach Nairobi verlagert wurde, ist die Anzahl junger Missionarskandidaten beträchtlich gestiegen. Jemand hat mir erzählt, dass es für das kommende Jahr 40 Kandidaten aus Afrika und aus Indien sogar 70 Kandidaten gibt. Es wäre für mich eine interessante Herausforderung, Schulter and Schulter mit nicht-europäischen Theologiestudenten zu arbeiten und sie mit meinen missionarischen Ideen vertraut zu machen: Dass es nämlich wichtiger ist, Gebäude für die Gemeinschaft zu bauen als Dogmen oder sogar die Armut bekämpfen direkt bekämpfen zu wollen. So habe ich all die Jahre in Pandipieri gearbeitet und -wer weiß – vielleicht gibt es ja in naher Zukunft auch neue Entwicklungen !

Bisher haben meine Urlaubspläne noch keine genauen Konturen angenommen. Da in Oosterbeek gebaut wird, kann ich vermutlich dort nicht unterkommen – aber mir steht ein Auto zur Verfügung. Für alle, die mich mögen, ist jetzt die Zeit gekommen, mich zu einem ausgedehnten Besuch in ihrem Haus zu verführen !

Kisumu wächst schrecklisch schnell; es scheint, als würde Kisumu zum Mittelpunkt der Völker, die rund um den Viktoriasee leben. Der Verkehr nimmt immer verrücktere Ausmaße an. Ganze Schwärme von Fahrradtaxis fliegen durch die Straßen – mit gerade einmal einem Passagier im Gepäck. Die meisten von ihnen haben kein Licht – was aber für sie kein Grund ist, im Dunkeln langsam zu fahren. Es gibt unheimlich viele Motorräder – in den Parks sieht man die Menschen das Fahren üben. Wenn ich das sehe, fällt mir eine lustige Geschichte ein, die einem Kollegen passiert ist, als er lernen wollte, wie man ein Motorrad fährt:

Als mein Freund Jan Slaman aus Purmerend so um 1995 herum in Ostafrika ankam, kaufte er sich – wie alle Missionare – ein funkelndes Motorrad.: eine AJS oder Matchless von BSA, den genauen Typ habe ich vergessen. Als er schließlich anfangen wollte, Motorrad zu fahren, war er unsicher. Er war ein wirklich qualifizierter Theologe und bestens in der Lage, über die Heilige Dreifaltigkeit zu referieren, aber er hatte keine blasse Ahnung von den Mysterien eines Getriebs oder wie man eine Kupplung bedient. Er arbeitet wirklich hart. Um genügend Platz zu haben, übte er auf einem Fußballfeld. Nach einer Weile schaffte er es, den Motor in Gang zu setzen; ihn wieder auszumachen, war hingegen schon eine neue Herausforderung. Es war nicht möglich, sich in seiner Nähe zu halten und ihm Anweisungen zu geben. Meistens ließ er sich dann einfach vom laufenden Motorrad fallen. Um zu lernen, wie man lenkt, steuerte er die beiden Torpfosten auf dem Fußballfeld an und wollte um sie herum fahren; aber nicht einmal das schaffte er: jedes Mal, wenn er in die Nähe eines Pfostens kam, umschlang er den Pfosten mit beiden Armen und ließ das Motorrad alleine weiter fahren. Danach übte er auf der Straße, wo ihm keine Torpfosten im Wege waren. Aber dort war ein Mann. Jan und sein Motorrad wurden von diesem Mann wie von einem Magneten angezogen. Der Fußgänger floh von der Straße, aber Jan “verfolgte” ihn durch Bananenplantagen und Süßkartoffelfelder, bis er ihn schließlich hatte. Er umschlang den Mann mit beiden Armen und ließ – wieder einmal – sein Motorrad alleine weiter fahren. Danach ließ Jan sein Motorrad einfach dort, wo es war und ging zu Fuß nach Hause. Seither hat er niemals wieder ein Motorrad angefasst sondern seine ganze Energie auf die Schätze der Theologie verwandt. Er wurde einer der hellsten Sterne am Firmament der Theologie.

Liebe Freunde, an Euch alle die besten Grüße – Gott segne Euch !

Hans

Ostern 2007

Zum diesjährigen Osterfest hat Pater Hans Burgmann
einen persönlichen Brief an das Weihnachtsbaumteam
Kerzell gerichtet; nachstehend die deutsche Übersetzung:

Liebe Freunde des Weihnachtsbaumteams Kerzell,

Zu Ostern möchte ich Euch allen meine besten Wünsche schicken. Die Zusammenarbeit mit Eurem Team ist für uns alle hier eine Quelle tiefster Zufriedenheit. Wenn wir zurück blicken, wird uns bewusst, wie dankbar wir den treuen Mitgliedern des WBT sein müssen, die jetzt schon viele Jahre mit erstaunlichem Enthusiasmus für uns arbeiten. Aber dankbar auch gegenüber unserem Vater im Himmel, der uns auf so geheimnisvolle Weise zusammengeführt hat: Menschen aus unterschiedlichen Nationen, die sich für die ärmsten aller Kinder einsetzen, um deren Lebenssituation zu verbessern.
Die Dinge, die Ihr und ich hier in Kisumu zusammen auf den Weg gebracht haben, sind wirklich wunderbar; viele Kinder haben dadurch eine neue Chance in ihrem Leben bekommen; auf vielerlei Arten konnte das Leben in den Slums verbessert werden. Es konnten sogar etliche schöne Gebäude errichtet werden. Wir – eine Gruppe von angefeuerten und enthusiastischen Christen –  haben  hier in den Slums von Kisumu wesentlich mehr erreicht als die hiesige Regierung mit ihren hoch bezahlten Angestellten. Meine Gedanken sind oft bei Euch; gerade jetzt habe  ich meine Reise nach Europa für den Sommer 2007 so geplant, dass ich zu Euch nach Kerzell kommen kann, noch bevor ich irgendwo anders hingehen werde.

Es ist mein größter Wunsch, dass unsere glückliche Gemeinschaft noch lange Zeit andauern möge; vor allem wünsche ich Euch allen, dass die Arbeit für die Straßenkinder Kenias Euch auch in Zukunft tiefe Zufriedenheit bringt.

Und nun – ganz zum Schluss – mein Osterwunsch an Euch alle:

Mögen wir alle aus der Asche unserer Fehler und Unzulänglichkeiten neu auferstehen und das Neue unseres Daseins erleben, damit wir erleben können, wie unsere vor langem verlorenen Ideale wieder Bestandteil unseres Lebens werden.“

Euer Hans Burgmann

Oster-Rundbrief 2007

Liebe Freunde,

Vor einigen Wochen war ich zum Mittagessen bei Kronprinz Willem-Alexander eingeladen. Schon seit einigen Jahren ist er den „Freunden Pandipieris“ freundschaftlich verbunden; der Kontakt wurde von Mitgliedern des früheren Pandipieri-Teams hergestellt.
Dann und wann meldet er sich – ganz auf  seine leise und stille Art. Dieses Mal hatten wir es so geregelt, dass er sich einige unserer aktuellen Projekte anschauen konnte. Für mich bedeutete das, eine Lehrstunde für Modellzeichnung in unserer Kunstschule zu geben.
Das war meine Chance, ihm und seiner Begleitung von Mitgliedern der Botschaft zu zeigen, dass unsere Kunstschule ein Symbol für das Ziel der Arbeit von Urban Apostolate ist: die versteckten Talente der Menschen zu entdecken und diese weiter zu entwickeln: Denn  eine Person mit gut entwickelten Fähigkeiten ist eher in der Lage, Probleme zu bewältigen – sowohl die eigenen als auch die in seiner Umgebung.

Als wir dann später am Ufer des Victoriasees zusammen mit all den berühmten Besuchern aßen und über die finanzielle Situation sprachen, hörte ich den einen sagen: “Das hier ist es also, worum es geht, oder ? ” Ich war still und hielt meine Hand vor den Mund. Ich war total gegensätzlicher Meinung, hatte aber keine schlagfertige Antwort parat. Die richtige Antwort liegt irgendwo bei den Worten Jesus: “Strebe  zuerst nach dem Reich Gottes und alles andere wird Dir in den Schoß fallen.” Mit anderen Worten, Geld „folgt“, es ist ein Nebenprodukt des Königreiches. Aber was ist dieses Königreich ? Es hat etwas damit zu tun: Tue für andere das, von dem Du Dir wünschst, dass sie es für Dich tun. Ein anderer Weg wäre der: Richte Deine religiöse Energie auf den Gott, der in Deinen Brüdern und Schwestern lebt – nicht auf Dich selbst. Ein anderer würde es vielleicht auch so ausdrücken: Hört für einen Moment auf, Euch nur vom Geld hypnotisieren zu lassen  und schaut, ob Ihr nicht etwas Wertvolleres findet, als Eure eigenen Lebensumstände  zu verbessern oder gegen die Ungerechtigkeit anzukämpfen.

Ich glaube, das ist genau das, was Pandipieri in den letzten dreißig Jahren getan hat – Ihr und wir hier vor Ort; und tatsächlich: das Geld, dass wir so nötig brauchen, ist uns „in den Schoß gefallen“. Wir danken dem Gott, der in unseren Freunden lebendig ist.

Geld ist ein wesentlicher Bestandteil der Freundschaft – ist aber nicht richtungsweisend. Es ist etwas anderes, was uns den Weg und die Richtung vorgibt. Bei uns ist dieser andere Bestandteil die Philosphie Pandipieris. Manche Menschen verwechseln Philosophie und Theologie; vielleicht ist Pandipieri sogar auch Theologie, denn es hat viele Wunder hervor gebracht. Kürzlich hatte KUAP sein jährliches Treffen. Viele Sprecher gedachten der Arbeit der vergangenen Jahre und verdeutlichten, was bisher erreicht werden konnte.  Mittlerweile wachsen sogar herrliche Gebäude in den Himmel. Wir Oldtimer müssen uns daran gewöhnen, denn wir haben niemals von solchen Gebäuden auch nur geträumt. Aber nun sind sie uns praktisch in den Schoß gefallen und die Menschen hier lieben das.

Wunder geschehen in vielen von uns. Wir scheinen in der Lage zu sein, viel mehr zu tun, als wir uns vorgestellt haben. Nicht nur, weil im Land der Blinden der Mann mit einem Auge der König ist, sondern auch deshalb weil in uns viele unentdeckte Talente schlummern, die vielleicht zum Leben erwachen. Neue Wege sind eine Herausforderung für uns. Die alten Herausforderungen beruhten oft auf dem Prinzip der afrikanischen Misere. Eines haben wir ganz sicher aus unserer Arbeit hier vor Ort gelernt: Es ist grundfalsch, Afrika den Kontinent des Elends zu nennen. Das ist ein Fehler, der seit vielen Jahren gemacht wird und der eine Serie von falschen Ideen hat wachsen lassen.

Vielleicht seid Ihr überrascht zu hören, dass erst diese Denkweise es möglich gemacht hat, dass der transatlantische Skalvenhandel stillschweigend geduldet wurde. Hugh Thomas’ umfangreiches Werk “The Slave Trade” (Der Sklavenhandel) beinhaltet aufschlussreiche Textpassagen. Auf Seite 300 las ich: “ William Chancellor, Schiffsartz der “Philip Livingstone’s Wolf”, schrieb in 1750, dass der Sklavenhandel ein Weg ist, “um unglückliche Menschen vor unvorstellbarem Elend zu retten“. Auf Seite 306 heißt es: “Als John Hawkins einen Sklavenmarkt sah, auf dem viele Sklaven auf ihren Verkauf warteten, erkannte er, dass er “vollständig davon überzeugt war, dass der Verkauf dieser armen Wichte – selbst als Sklaven auf die Westindischen Inseln – ein Akt der Humanität war.” „Die Sklaven, die ich kaufte, waren junge Männer und viele davon waren begierig, den Fesseln in Eboland zu entkommen“. Auf Seite 680: “Die Sklavenhändler sagten, dass der Sklavenhandel human war; in Afrika seien viele Neger Kannibalen, extrem faul und träge; es heißt, dass bestimmte Stämme ständig Krieg führten und dass sie ihre Gefangenen töteten, wenn niemand bereit war, sie ihnen abzukaufen.”

Für die heutige Zeit klingen diese anschaulichen Schilderungen vielleicht wenig blutrünstig, aber das Prinzip des „Afrikanischen Elends“ ist noch immer aktiv. Um ehrlich zu sein, es rührt zu Tränen zu sehen, was viele Europäer fühlen: wir sollten den Menschen helfen, indem wir sie alle notwendigen Dinge lehren. Etwas möchte ich hier verdeutlichen: Afrika war niemals ein Kontinent der „wilden, unzivilisierten“ Menschen.  Die Menschen lebten in vollständig unterschiedlichen Kulturen – jeweils mit ihren starken und ihren schwachen Seiten. Das Wunder, das nun in Europa geschehen muss, ist ein neues Bewusstsein, dass auch die europäische Kultur Defizite hat, die durch die bisher unterschätzten afrikanischen Kulturen ausgeglichen werden können. Das ist die neue Herausforderung an uns Europäer und eine Einladung, neue Sichtweisen anzunehmen.

Mit einer Geschichte über ein deutsches Kind möchte ich meinen Brief beenden. Dieses Kind kam um die Zeit des II. Weltkrieges nach Holland und fand dort seinen Weg zu Mill Hill. Es ging nach Ostafrika, um dort seine in ihm schlummernden Talente zum Leben zu erwecken und ein Leben als Missionarsbruder zu führen.

Ludger wurde zum Missionar im weit entfernten Tesoland in Uganda bestellt.  Missionare waren “Allrounder” und auch in extremen Situationen unerschrocken. Ludger sah all die kranken Menschen und niemand war da, der sie hätte medizinisch versorgen können. Er begann zu handeln wie Jesus: er heilte die Kranken – auch ohne Arzt zu sein. Heute könnte man das nicht mehr machen – aber vor 60 Jahren war das noch möglich. Er begann mit größter Vorsicht und wurde ein begnadeter “Amateurarzt”. Hin und wieder sprach ich mit einem befreundeten Arzt, der ein Auge auf Ludger’s Krankenhaus hatte. Er fand das o.k. und es gab niemals weitere Fragen.

Bruder Ludger hatte noch ein anderes Talent: er hatte ein Auge für Inkulturation – dem Eindringen einer Kultur in eine andere. Die Teso-Kultur z.B. würde es niemals erlauben, dass ein Teso-Mann sich von einer Teso-Frau sagen lässt, was gut für ihn ist.

Man hörte Geschichten von starken Männern, die in der Tür des Krankenhauses standen und einer Krankenschwester mit dem Finger zeigten, welches Medikament sie haben wollten. Die medizinische Fakultät von Kampala hatte keine Antwort auf solche sensiblen Traditionen – Ludger schon. Er brachte alle Patienten dazu, sich in einem Kreis zusammen zu setzen und seine Erkrankung in lebendigen Farben zu beschreiben. Dann fragte er alle im Kreis, was sie von dieser Krankheit hielten und wie man sie ihrer Meinung nach behandeln könnte.

Er selbst wusste natürlich, um welche Krankheit es sich handelte, aber er schaffte es, die Diskussion der Anwesenden so zu führen, dass sie zum Schluss zu der Lösung kamen, die die richtige war. Sie aber waren der Meinung, dass sie die Lösung selbst  herausgefunden hatten.

Ludger hatte unglaubliche Erfolge –  nicht nur in Afrika ! In seiner Nähe lebte ein indischer Ladenbesitzer. Dessen kleine Tochter wurde eines Tages schwer krank und reagierte nicht mehr auf die Behandlung in einem weit entfernten Krankenhaus. Er ging zu Ludger, der es schaffte, das kleine Mädchen zu heilen. Der Vater war darüber so glücklich, dass er Ludger eine Weltreise schenken wollte. Aber Ludger wollte etwas anderes: er war ein großer Katzenliebhaber und hatte mehr als 30 Katzen. In seinem Haus hatte er viele Wege und kleine Treppen gebaut, damit die Katzen überall hin konnten und das Haus von Schlangen, Fledermäusen, Ratten und Kakerlaken frei halten konnten. Das Geschenk, das er erbat und auch bekam war – kostenloses  Katzenfutter für immer.

Starke Geschichten über die Person Ludgers sind im Umlauf. Er ist einer von denen, der zu gut ist, als dass man ihn vergessen könnte. Es gab eine Teso-Mann, der an einer hartnäckigen Verstopfung litt. Nachdem er sich eine Woche lang gequält hatte, entschied er sich zu einer drastischen Therapie.: er gab seiner Frau ein scharfes Messer und bat sie, ein Loch in seinen Bauch zu schneiden.  Das Messer rutschte ab und alle seine Gedärme fielen aus der Bauchhöhle. Als er sich von dem ersten Schock erholt hatte, stand er auf, raffte seine Innereien zusammen, hing sie wie einen Regenmantel über seinen Arm und ging zu Ludger.  Dieser legte alle Innereien wieder zurück an ihren richtigen Platz in die Bauchhöhle des Teso-Mannes  und vernähte die Wunde professionell. Der Mann und seine Frau waren glücklich. Kreativität, Talent und Courage hatten Ludger in das Land der Wunder geführt.

Vielen Dank für Eure Unterstützung und Eure Freundschaft, die ich – gerade auch während der Zeit um Weihnachten herum – so herzlich von Euch erfahren habe. Ich wünsche Euch allen ein gesegnetes Osterfest.

Hans Burgmann

Weihnachten 2006

Liebe Freunde,

als ich im Oktober nach Kisumu zurückkam, hatte sich vieles verändert. Alphonce war nicht
mehr da und an seinem Schreibtisch saß stattdessen Gabriel Owira, der offensichtlich sehr gut zu uns passt. Er ist ein sehr enthusiastischer Mann und spricht die Sprache der einfachen Leute. Von Anfang an kamen wir sehr gut miteinander aus.

In meinem vorherigen Brief an Euch berichtete ich schon über die etwas voreilige Veröffentlichung  des  strategischen 5-Jahres-Plan durch die KUAP-Leitung –
es gab damals noch keine genauen Schätzungen über das, was benötigt wird. Diese Schätzungen liegen jetzt vor und haben – Gott sei Dank – zu beträchtlichen
Änderungen im 5-Jahres-Plan geführt. Das neue Gebäude der Hauswirtschaftsschule in Nyalenda wächst von Tag zu Tag – es wird großartig werden.

Wegen der anhaltenden Regenfälle macht uns eine zwar kleine aber doch sehr unangenehme Flutkatastrophe in unserer Gegend schwer zu schaffen. 150 Familien mussten evakuiert werden und haben alles verloren, was sie besaßen; ungefähr 50 Häuser sind zerstört. Das Unglück wurde im Wesentlichen dadurch verursacht, dass die Behörden sich nicht um die Funktionstüchtigkeit des Abwassersystems kümmern – das macht einen Holländer wie mich wütend; aber die Menschen hier leiden schon so lange. Sogar jetzt agieren die Behörden nur im Schneckentempo. Glücklicherweise reagierte KUAP/Pandipieri sofort und bot erste Hilfsmaßnahmen an. Wir rütteln die Behörden wach und versuchen, den Opfern der Flut zu helfen, damit sie wieder ihr früheres Leben aufnehmen können. Der Vorstand hat alle um Hilfe gebeten; wenn auch Ihr Euch angesprochen fühlt, könnt Ihr gerne eine Spende auf mein Mill Hill Konto überweisen – Kennwort: „for Burman-Flood Relief“  (Hilfe für die Flutopfer durch Pater Burgman – Anm. d. Übers.)

Ich besuchte die Schulen, in denen die Flutopfer Schutz gefunden haben. Die Menschen hier haben unterschiedliche Arten, mit solch einem Unglück umzugehen. In den Notfallstationen wurden die Kinder betreut; sie amüsierten sich dort großartig: sie tollten und sprangen dort umher und freuten sich. Als Europäer fühlte ich mich verpflichtet sie zu ermahnen und ich sagte zu ihnen: „ Um Himmels willen, Kinder – so werdet niemals jemanden finden, der Euch hilft! Ihr müsst jammern, wehklagen und wimmern – auf jeden Fall aber miserabel aussehen!“ Da wurde mir aber auch klar, dass gerade der Frohsinn dieser kleinen Kinder, die mehr als die Hälfte der Menschen hier stellen, der Grund dafür ist, dass wir im Grunde doch eine fröhliche Gemeinschaft sind.

Immer deutlicher werden für mich die Unterschiede zwischen Europäern und Kenianern. Einer davon ist, dass Europäer eine klare Verbindung zwischen Zahlen und der Realität sehen, während das für die Menschen hier nicht von hoher Bedeutung ist. Sie erkennen nur schwer, wenn eine Zahl nicht korrekt ist. Zum Beispiel:  Die Mitglieder der Gruppe „Fluthilfe“ versuchten zu schätzen, wie viel Geld eine Durchschnittsfamilie benötigt, um für einen Tag Nahrung zu beschaffen – sie kamen auf 3000 Schilling/Familie. Das entspricht etwa der Hälfte eines Monatslohnes für die Glücklichen, die überhaupt eine Arbeit haben. Aber nicht einer hatte den Mut auszusprechen, dass diese Zahlen gar nicht stimmen können. Jetzt hatten sie ein Problem:  Wie bekommt man diese Summe zusammen – und das multipliziert für insgesamt 120 Familien und für jeweils fünf Tage.

Dazu will ich folgendes bemerken: Wenn Menschen auf diese Art mit Geld umgehen, denken die Europäer sofort, dass dies aus Habgier geschieht; ich bin mir aber sicher, dass es nur daran liegt, dass die Kenianer überhaupt kein Gefühl für den Umgang mit Zahlen haben.

Es gibt noch etwas Interessantes zu berichten. Für den 30. Dezember plant KUAP/Pandipieri ein Treffen  – einen gemeinsamen Abend – mit den Armen hier.  Am Nachmittag des 30. Dezember werden sich auch Mitglieder ähnlicher Gruppen wie KUAP/Pandipieri mit uns treffen und den Abend und  die Nacht in und um unsere Kirche verbringen. Wir werden zusammen essen und die Eucharistie feiern und dann am Morgen des 31. Dezember nach Hause gehen. Eine ähnliche Nachtwache haben wir schon einmal organisiert – die Menschen hier lieben das.

Ich fragte, wie viele Besucher erwartet werden. „Oh – so ca. 2.500 Leute”, sagte man mir. “Entschuldigt bitte,” sagte ich, “aber woher wollt Ihr Essen für so viele Menschen bekommen?” „Wir werden eine Kuh und ein paar Ziegen kaufen“, war die Antwort. „Und wo sollen all diese Menschen schlafen?“ fragte ich weiter. „In der Kirche oder so,“ lautete die Antwort. (Die Kirche hat für höchstens 700 Menschen Platz – damit ist sie aber auch schon fast überfüllt). „Wo sollen sie die Leute waschen?“ war die nächste Frage. „Wir werden einfach ein paar Trennwände aus Bastmatten machen, dahinter kann man sich waschen“. Meine Frage nach den Toiletten beantwortet man wie folgt: „Oh, wir haben vier Toiletten, und vielleicht kommen ja auch ein paar Leute weniger, als wir glauben. Das wird schon gehen.“ Da habe ich dann einfach nicht mehr weiter gefragt. Liebe Freunde, wisst Ihr was? Irgendwie werden sie das auch wirklich schaffen – auf die eine oder andere Art! Denn sie alle waren und sind wahre Krisenmanager. Ein bisschen zynisch möchte ich anmerken: „Für uns hier im Westen Kenias ist „Planung“ gleichbedeutend mit „Krise“. Aber ich habe mittlerweile akzeptiert, dass unsere Gedankengänge in unterschiedlichen Richtungen verlaufen.

Lasst uns über die Korruption sprechen: es gibt eine Korruption der Reichen und eine Korruption der Armen. Die Reichen stehlen, weil sie reich sind und noch mehr wollen. Dies ist die Art der Korruption, die eine Gesellschaft und ein Land ruiniert. Arme sind korrupt, weil sie ein Problem lösen müssen: das können Krankenhausrechnungen für ein Familienmitglied sein oder Schulgeld, das für die Kinder bezahlt werden muss. Was tust du, wenn du vor schier unüberwindlichen Problemen stehst? Der Gedanke, sich das Benötigte zu stehlen, kommt dir den Sinn. Aber das Stehlen ist extrem gefährlich. Wenn du gefasst wirst, wanderst du in das Gefängnis oder wirst sogar gelyncht. Die einzige sicher Art zu stehlen ist, einen Freund zu bestehlen; der wird dir vergeben, weil er versteht, warum du das getan hast und dass du in einer Zwickmühle steckst. Wenn er dich erwischt, wirst du ihm versprechen, das nie wieder zu tun und du wirst ihm auf vielfältige Weise zeigen, wie dankbar du dafür bist, dass er dir vergeben hat. Auf diese Weise ist Diebstahl hier auch eine Art, gute Beziehungen zu pflegen. Viele meiner weißen Freunde quält der Gedanke daran, dass ihnen so etwas passiert ist; ich habe gelernt, darüber zu grinsen. Noch immer aber unterhöhlt dieses Stehlen unsere Gemeinschaft, denn es zerstört auch Vertrauen. Und ohne Vertrauen gibt es keine Zusammenarbeit und ohne Zusammenarbeit ist kein Fortschritt möglich.

Als ich jetzt wieder damit anfing, die Kranken hier zu besuchen, wurde mir bewusst, dass ich wieder ganz hier in Pandipieri angekommen war. Die schweren Regenfälle haben die Pfade zwischen den armseligen Hütten in kleine Seen aus grünem Schlamm verwandelt – hin und wieder ein Stein dazwischen, auf den man treten kann. Aber auch das ist ein Stück Weisheit:

Alles, was du brauchst,
um im Schmutz vorwärts zu kommen,
sind ein paar Steine, auf denen du laufen kannst.

Auf meinen wöchentlichen Besuchen werde ich immer von Mitgliedern unserer Gemeinschaft begleitet. Wir fragen die Kranken, wie es ihnen geht, ob sie schon im Krankenhaus waren und ob sie ihre Medizin bekommen haben. Wir wollen wissen, ob sich jemand um sie kümmert und ob sie durch das Pandipieri Gesundheitsprogramm unterstützt werden. Dann nehmen wir sie bei der Hand und beten mit ihnen: wenn es ihnen möglich ist und sie das wollen, bekommen sie die Heilige Kommunion.

Sehr oft leiden die Menschen unter wirklich abscheulichen Krankheiten. Viele von ihnen hat AIDS zu einem Wrack oder zu Krüppeln mit fürchterlichen Eitergeschwüren gemacht. Wir kannten einen Mann mit einem vereiterten Bein – rund um das Bein bildeten sich Lachen aus Eiter auf dem Fußboden. Eine Frau hatte keine heile Haut mehr an ihrem Bein. Vorgestern zeigte mir ein junger Mann sein stark geschwollenes Bein – voller Karfunkel und schwarzer Geschwüre. Er erzählte mir, dass er nicht mehr zum Arzt geht, weil er kein Geld dafür hat. Aber in seiner Hütte gab es ein Fernsehgerät und einen Videorecorder. Zurück bei meinem Auto stellte ich fest, dass einer der Reifen platt war. Das Vorhängeschloss meines Ersatzrades war verrostet und der Reißverschluss meiner Werkzeugtasche funktionierte auch nicht mehr, sodass ich ein Loch in die Tasche schneiden musste. Da kann man wirklich sagen: „Was für ein Tag!”

Ein neues Phänomen hier in Kisumu sind die dreirädrigen Motorradtaxis. Die Menschen hier haben ihnen den Namen Tuktuk gegeben. Es ist lustig zu sehen, wie Sprache gebraucht wird. Natürlich ist Tuktuk eine Imitation des Geräusches dieser Motorräder. Genau wie „Pikipiki“ für Motorrad oder „Tengatenga“ für den Traktor und „Potipoti“ für ein Motorboot. Fahrradtaxis werden „Bodaboda“ genannt, weil man sie ursprünglich dafür nutzte, um die Grenze zu überqueren (engl. Border – die Grenze). Es gibt eine Menge von diesen lustigen Ausdrücken. Der Daumen ist der „Hahn der Finger, das Handgelenk ist der „Nacken der Hand“ und die Augäpfel sind die „Eier der Augen“. Eine Tür nennt man hier den „Mund des Hauses“ und das Augenlid ist der „Deckel auf dem Topf“. Der Horizont wird als „Fuß des Himmels“ beschrieben und wenn man etwas vergisst, sagt man hier „du verdrehst deinen Kopf“.  Aber ich glaube, solche Redewendungen gibt es überall auf der Welt. Zuhause bei mir in Twente sagt man zum Beispiel „Wenn Du keinen Hintern hast, musst Du es durch die Rippen schwitzen“. (Versucht einmal, dass in Euren eigenen Dialekt zu übersetzen – erst dann werdet Ihr das richtig verstehen).

So – das soll für heute genug sein.

Ich wünsche Euch allen eine glückliche und gesegnete Weihnachtszeit

Hans Burgmann

Sommer 2006

Liebe Freunde,

unsere Projekte in Kisumu wachsen weiter. Viele Monate lange haben wir daran gearbeitet, die Pläne zu erstellen und die Genehmigungen einzuholen, die erforderlich waren, um für die Mädchen-Haushaltungsschule ein neues Gebäude an der Stelle zu errichten, wo vorher die „Nyalenda Plastic Recycling Industry“ angesiedelt war. Nach langem Hin und Her ist jetzt alles fertig – wir können mit dem Bau beginnen. Es wird ein großes und schönes Gebäude mit vielen Verbesserungen für dieses wunderbare „Mädchenprogramm“ werden. Nach einer 25-jährigen intensiven Nutzung waren die alten Gebäude regelrecht zerfallen; einige der Klassenräume sind so klein und eng gestaltet, dass nur ganz dünne Mädchen dort sitzen können. Ihr wisst, dass wir jährlich ca. 125 Mädchen zwischen 15 und 30 Jahren in unsere Haushaltungsschule aufnehmen und dort unterrichten.

Auch das KUAP Abenteuer “Afrikanisierung” wächst und gedeiht. Einige örtliche kulturelle Eigenheiten bereiten uns jedoch Schwierigkeiten. Die einheimische Kultur basiert darauf, dass Macht immer Vorrang hat – ganz so wie in der Natur!
Da Macht der Ursprung von allem ist, trachtet natürlich jeder danach, soviel Macht wie möglich zu erlangen – auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Das Bestreben nach der größtmöglichen Macht kann auf verschiedene Arten erfolgen:
Eine Möglichkeit ist es, alle Menschen in der Umgebung klein und unzulänglich erscheinen zu lassen; eine andere Möglichkeit besteht darin, sich selbst mit mächtigen Leuten zu umgeben und sicher zu stellen, dass man immer ein bisschen höher steht als diese. Hier bei uns gewinnt man schnell den Eindruck, dass die Einheimischen die erste Methode bevorzugen und andere in ein schlechtes Licht rücken.

Jetzt eine ganz wichtige Information: Alphonce Lumumba wird KUAP/Pandipieri verlassen; er möchte sein Studium fortsetzen und hat deshalb seinen Vertrag in diesem Sommer nicht verlängert. Sein Weggang ist für uns ein großer Verlust; mit seiner ihm eigenen Philosophie war er ein Teil, eine Zelle der Geschichte Pandipieris. Während der letzten Jahre hatte er eine sehr schwierige Doppelfunktion: Leiter des „Tagesvorstands“ sowie Sekretär des KUAP-Vorstands. Seinen Nachfolger erwarten wir mit einiger Beklemmung.

Die Fußballweltmeisterschaft hat Kenia stark beeinflusst. Sicher, Afrika hat eine ordentliche Aufstellung von Topspielern präsentiert; aber die Leistung, die diese Spieler dann zeigten, frustrierten doch viele. Als echte „Pandipieri-Charaktere“ wissen wir doch, wie solche Einschätzungen entstehen. Hier eine kurze Betrachtung über den Status des heutigen Fußballs – aus unserer Sicht:

Das offensichtliche Problem war, das zu viele gute Spieler auf dem Spielfeld waren. Folglich war es nahezu unmöglich, den Ball vorwärts zu bringen. Aus diesem Grund gingen viele Spieler „auf Nummer sicher“ und spielten den Ball nach hinten. Um nach vorne zu kommen, brauchte es schmutzige Tricks und Fouls. So viele Spiele wurden durch Elfmeter und Freistöße entschieden. Es wäre eine Möglichkeit, mehr schlechtere Spieler in das Team zu nehmen; allerdings würde die Auswahl sicher schwierig werden. Eine andere Alternative wäre, den Spielern die Arme auf den Rücken zu binden. Am einfachsten aber wäre es, die Anzahl der Spieler auf dem Feld zu verringern; mit neun Spielern für jedes Team wäre könnte ausreichend Platz für alle auf dem Spielfeld geschaffen werden. Und – um endlich das allgegenwärtige Ziehen an den Trikots abzuschaffen, müsste man nur die Trikots abschaffen und die Clubfarben auf den Körpern der Spieler aufbringen.

Kaum in Holland angekommen, war ich auch schon auf dem Weg nach Deutschland, um Zeuge der großen Geschehnisse zu werden, die dort jedes Jahr stattfinden, um unsere Projekte in Kisumu zu unterstützen. Die große Figur hinter den Kulissen ist unser alter Freund Joseph Reith. (Er arbeitete 20 Jahre lang in Kisumu mit ganz enger Verbindung zu Pandipieri). Er und seine Arbeit haben eine Gruppe großzügiger Freunde in Kerzell – Joseph’s Heimatort nahe Fulda – inspiriert, jedes Jahr im Dezember Weihnachtsbäume zu verkaufen und (wie jedes Jahr) auch am letzen Sonntag im Juli 2006 ein Hoffest in Kerzell zu veranstalten. Bei diesem Fest anwesend zu sein, hat mir richtig Schwung gegeben. In diesem Jahr dachte ich: „Was für Schande, dass die Menschen in Pandipieri nicht sehen können, wie eine Handvoll einfacher Menschen wie Teufelskerle arbeiten, um einen enormen Geldbetrag für die Projekte Pandipieris zu beschaffen. Am Sonntag wurden 400 Mittagessen verkauft; außerdem 50 Kuchen und Torten – alle selbst gebacken von Leuten aus Kerzell – dazu noch unzählige Würstchen und Steaks sowie wahre Fluten von Bier, Wein und anderen Getränken. Bands spielten, es waren Sänger und Redner da und Dutzende von Leuten schwirrten umher; sie kochten, bedienten, bauten auf und ab – und das alles für das große Ziel, den jungen Menschen in Kisumu zu helfen.

Die Organisation war perfekt. Wenn der Vorsitzende bemerkte: „Gut organisiert“ – so bedeutet das, dass alles perfekt funktionierte und niemand genau wusste –wie !
Ich für meinen Teil hielt eine kleine Predigt – natürlich in deutscher Sprache !

Einen Tag später besuchten wir eine Burg in Oberwesel hoch oben auf einem Berg nahe dem Rhein. Meine Augen – noch immer an Kenia gewöhnt – wurden durch ein großartiges Panorama gefesselt: unter mir die Stadt, dann der Fluss mit all den Schiffen, Eisenbahnlinien mit Zügen, Straßen voller Autos, und Weinberge, soweit das Auge reicht. Und dazwischen überall Villen und Häuser. Wie ich so mit meinem Fernglas die Gegend betrachtete, war ich überrascht, keinen Menschen entdecken zu können. Gut – ich will nicht übertreiben: Ich sah einen Mann, der in einem Weinberg arbeitete. Welch ein Gegensatz zu der Landschaft um Kisumu herum, wo es von Menschen nur so wimmelt!

Es heißt immer, Deutschland sei voll ! Ja sicher – mit Dingen, die von Menschen gemacht wurden, aber nicht voll mit Menschen.

Zur Zeit lese ich gerade ein Buch, das schon einigen Staub aufgewirbelt hat. Geschrieben hat es ein Entwicklungsexperte namens William Easterly. Das Buch heißt „The White Man’s Burden“ (voraussichtlicher deutscher Titel wird sein: Wir retten die Welt zu Tode“ ; das Buch wird vermutlich erst im Oktober 2006 in deutscher Sprache verfügbare sein. Anm. D. Übersetzers) mit dem Untertitel „Why the West’s Efforts to Aid The Rest Have Done so Much III And so Little Good.” (Warum die Bemühungen des Westens zu helfen soviel Schlechtes o wenig Gutes gebracht haben – voraussichtlicher deutscher Untertitel: „Für ein professionelleres Management im Kampf gegen die Armut“ – Anm. d. Übersetzers).

Seine Antwort auf diese Frage ist: Weil der Westen zu viel Vertrauen in die selbstsicheren Experten gesetzt hat, die große Pläne gemacht haben, ohne dabei die Wünsche der „kleinen Leute“ zu kennen und zu berücksichtigen. Dabei garantieren nur die Leute Erfolg im Kampf gegen die Armut, die sorgfältig heraus zu finden versuchen, was die Einheimischen wirklich brauchen, und was sie leisten können. Und das ist wirklich wahr:

In ganz Kenia sieht man die Ruinen von Einrichtungen, die nach den Plänen dieser so genannten Experten erstellt wurden. Zum Beispiel das „Lake Basin Authority“ (Seenmanagement Kenia). Genau das ist der Grund, warum wir vor 25 Jahren mit der „Pandipieri Philosopie“ begannen. Das heißt: Wir begannen damit, direkt mit den „kleinen Leuten“ zusammen zu leben; wir fragten Sie immer wieder: „Was erwartet Ihr von uns, und was könnt Ihr selbst tun? Was haltet Ihr von unserer Arbeit ?“ Unsere Methode hatte einen sensationellen Erfolg und inspirierte viele Gönner. Unglücklicherweise heißt es in dem Buch aber auch, dass die große Entwicklungspolitik daran festhält, auch in Zukunft solch große Pläne zu schmieden, die schon vor ihrer Umsetzung dem Untergang geweiht sind. Pläne des IMF (Internationaler Währungsfonds), der Weltbank, Jahrtausendziele und strategische Planungen, die auf den Theorien stadtgebundener Experten basieren, anstatt nach den kleinen Schritten zu suchen, die die Einheimischen dann auch selbst gehen können.

Bei dieser Lektüre habe ich manchmal das Gefühl, dass dieser Mann unsere „Pandipieri Philosophie“ beschreibt. Ich hoffe sehr, dass auch das gegenwärtige KUAP Führungsteam dies realisiert und der Versuchung widersteht, auf die Seite der „Großen Planer“ zu wechseln. Diese haben keinen Zugang zu dieser Art von Literatur und manche von ihnen sind von den „Großen Planern von Nairobi“ sicherlich leicht zu beeindrucken. Manche denken sogar, dass es der Wunsch unserer Gönner und Freunde ist, sich den Methoden dieser Planer anzuschließen.

Soweit es mich persönlich betrifft – mir geht es gut; ich habe mir so eine Art medizinische Checkliste erstellt. Meine größte Sorge ist, dass meine Hüft so steif ist. Die Operation schien gut verheilt zu sein, und das einzige, was noch erforderlich schien, war eine gute Physiotherapie. Das nächste war dann der mögliche Hautkrebs – aber es gab keinen Grund zur Sorge. Auch meine Augen habe ich überprüfen lassen – alles ist also o.k. Ich habe ein schönes Zimmer im St. Joseph’s House in der Nähe von Vrijland in Oosterbeek. Hier herrscht ein vergnügter Geist: alle Leute hier sind alte Freunde von mir. Aber es ist hart, Kisumu zu vergessen. Hier geht alles fünf Minuten früher los – in Kisumu dauert alles 20 Minuten länger als geplant. Telefonisch könnte Ihr mich unter 026 3397557 und 0630298613 erreichen. E-mails könnte Ihr an meine kenianische Adresse richten; ich kann die Mails auch hier abrufen. Voraussichtlich werde ich bis Anfang Oktober noch hier in Holland sein.

Mir steht sogar ein Auto zur Verfügung; ich schätze diesen tadellosen Verkehr und die perfekten Straßen von Holland wirklich. Von Kenia bin ich enge und nur notdürftig reparierte Straßen mit Schlaglöchern gewöhnt – von den nicht vorhandenen weißen Mittel- und Randmarkierungen ganz zu schweigen. Kisumu City ist ein Gewimmel aus Fahrradtaxis, die anstelle einer Lampe höchstens eine Klingel haben; wenn Du mit denen kollidierst, hast Du einfach Pech gehabt.

Das erinnert mich an etwas, was einigen Nonnen in einem einsamen Teil Kenias passierte: Mit ihrem kleinen Wagen fuhren sie über eine kurvenreiche Straße, es war dunkel und starker Regen blendete die Nonnen. Plötzlich saßen sie hinter einem langsam fahrenden LKW fest, der natürlich keine Rücklichter hatte, und kein Lärm der Welt hätte ihn dazu bewegen können, Platz zu machen. Als die Straße etwas breiter wurde, sahen die Schwestern ihre Chance und überholten. Als sie schon fast an dem Hindernis vorbei waren, bemerkten sie, dass es sich gar nicht um einen LKW handelte, sondern dass es ein Elefant war, der ihnen den Weg versperrt hatte. Oftmals, wenn ich mich donnernden Bussen und LKWs gegenüber sehe, sage ich zu mir selbst: „Wenn das doch nur Elefanten wären!“

Ich möchte noch all meinen Freunden für ihre treue Unterstützung danken. Ich kann Euch allen versichern, dass die Programme Pandipieris unter der Führung von „Suchern nach dem, was die kleinen Leute wirklich brauchen“, weiter wachsen und gedeihen werden. Ich freue mich schon auf den „Pandipieri Friends Day“ am 9. September hier in Oosterbeek – eine wundervolle Gelegenheit, viele Euch zu treffen.

 

Hans Burgmann

Ostern 2006

Liebe Freunde,

Wenn heute alte Bekannte Pandipieri besuchen, werden sie es kaum wieder erkennen. Ein großartiges Gebäude ist hier für das Resozialisierungs- programm der Straßenkinder entstanden. Mitte Februar wurde dieses Gebäude mit einem großen Fest eingeweiht. In meiner Ansprache anlässlich dieser  Veranstaltung verglich ich dieses zweistöckige Haus mit einer Blume, die aus den Wurzeln des alten Pandipieri gewachsen ist – jeder ist davon tief beeindruckt. Dieses Haus ist Zeugnis für die anhaltende Dynamik und das Wachstum von Kisumu Urban Apostolate.
Hier kann ich Euch ein kleines Geheimnis verraten: es wird nicht die letzte Blume sein, die hier anfängt zu blühen – in Nyalenda zeichnet sich etwas sehr Schönes ab: anstelle des Gebäudes, in dem wir früher alten Kunststoff wieder verwertet haben, wird ein neues Gebäude für die Haushaltungsschule der Mädchen entstehen. Selbstverständlich werde ich Euch über dieses Projekt auf dem laufenden halten.

Diese Entwicklungen zeigen auch, dass der neue KUAP Vorstand hart daran arbeitet, alten Projekten  neue Impulse zu verleihen. All diese Leute sind sehr kompetent und willens, einen großen Teil ihrer Zeit und ihrer Energie diesen Projekten zu widmen; die zahlreichen Treffen dauern oft bis spät in die Nacht – und all diese Leute arbeiten freiwillig und ohne Bezahlung. Sie können stolz auf sich sein und verdienen unsere Anerkennung. Diese Menschen sind sich der starken freundschaftlichen Bindung zu Euch – die Ihr so weit weg seid – sehr bewusst. Fr. Fons Eppink, die viele von Euch schon kennen, ist jetzt unsere neue stellvertretende Vorsitzende.

Zu unser aller Erstaunen ist der Wasserspiegel des Viktoriasees dramatisch gesunken. Eine Zeitung schrieb darüber: „ Der Wasserspiegel ist um mehr als sechs Fuß (1 Fuß = 30,48 cm – Anm. des Übersetzers) gesunken; an manchen Stellen sogar um 10 Fuß (ca. 3,10 m)“. Nicht nur der Viktoriasee ist davon betroffen, und jeder fragt nach der Ursache. Einige machen die Abholzung der Wälder dafür verantwortlich; andere sind der Meinung, dass es sich dabei um eine regelmäßig wiederkehrende Erscheinung handelt, deren Ursache in unterirdischen Wasserströmungen zu suchen ist. Nach Meinung dieser Leute regelt sich das alles wieder von selbst.

Im Moment haben wir den Eindruck, dass sich mehr und mehr geistig behinderte Menschen zu unserer Kirchengemeinde hingezogen fühlen. Ich sage mir immer wieder, dass das ein gutes Zeichen ist. Die Dame aus Uganda, die vor ca. vier Jahren im Garten vor unserem Haus ihr Zelt aufgeschlagen hatte, ist auch wieder zurückgekehrt. Sie tauchte eines Tages einfach mit einem breiten Lächeln im Gesicht wieder auf als wollte sie sagen: „Ich weiß doch, wie sehr Ihr mich vermisst habt!“. Sie schlug ihr Zelt wieder am alten Platz auf – im Schatten des kleinen Teebude. Dort kocht sie, schläft und wäscht Ihre Kleidung. Sie klettert hoch in die Bäume, um dort abgestorbene Äste für Ihr Holzfeuer zu holen, und wenn wir essen, steht sie vor dem Fenster, um zu sehen, was wir auf dem Teller haben und was wir uns im Fernsehen anschauen. Wohl oder übel haben wir ihr zu essen und zu trinken gegeben; aber kürzlich sagte sie uns, dass sie unser Essen nicht mag und dafür lieber 100 Schillinge hätte. Damit könnte dann in einem Restaurant in der Stadt essen.

Davon abgesehen müssen wir uns nicht viel um sie kümmern. Ganz anders die andere Frau, die – mit großen Plastiktaschen in den Armen – dauernd in die Kirche hineinplatzt und dort jeden mit unverständlichen Ausdrücken beschimpft.

Dann ist da noch der arme Junge von ca. 16 Jahren, der immer in der Lourdes-Grotte schläft. Tagsüber ist er überall dabei, schaut uns  zu und  kratzt sich unablässig. In der Kirche benimmt er sich mehr als tadellos: wenn die anderen beten, wirft er sich auf den Boden, hört den Gebeten mit offenem Mund zu und kugelt sich  bei jedem lustigen Satz des Priesters vor Lachen auf dem Boden – er ist der ideale Kirchenbesucher.

John ist natürlich auch noch immer hier; das ist dieser große  Mann mit den Hühnerfedern im Haar, der während der Messen immer langsam wie ein Heilsbringer auf und ab geht – manchmal in allen drei Sonntagsmessen. Danach kommt er zum Essen auf unsere Terrasse.  Gott sei Dank kommt die  Frau, die während der Messen immer unkontrolliert schrie und mit den anderen Kirchgängern schimpfte, „weil Gott ihr das so befohlen hatte“, im Moment nicht mehr in unsere Kirche; ihr Arbeitgeber hat sie in eine andere Stadt versetzt, nachdem Sie Ihren Chef geschlagen hatte, „weil Gott es ihr so befohlen hatte“.

Was mich immer wieder in Erstaunen versetzt ist die Haltung  der Leute   hier gegenüber diesen  Menschen mit solch langwierigen Leiden: alle sind offensichtlich der Ansicht, dass es auch für solche Menschen einen Platz auf der Welt geben muss. Das finde ich wirklich sehr bemerkenswert !

Vielleicht sind einige von Euch erstaunt zu hören, dass es die Kunststoffwiederverwertung bei uns nicht mehr gibt. Tatsächlich sind nicht all unsere Aktivitäten Erfolgsstories. An und für sich war dieses Programm etwas wirklich Großartiges – die Idee war einfach: die Elendsviertel  sind voll mit Plastikmüll. Also warum sollten man die Menschen diesen Müll nicht aufsammeln lassen, ihnen etwas Geld dafür geben, den Müll sortieren, waschen und zerkleinern, in Säcke abfüllen und verkaufen ?  Mit dem Erlös könnte man ein halbes Dutzend Arbeiter entlohnen und den Armen einen Extrabonus zukommen lassen. Also wurde jemand mit der Leitung dieses Projektes bestimmt, aber nach einem Jahr schon hatten wir große Verluste. Es sah so aus, als ob der Projektleiter mit dem Geld auf „sehr ungewöhnliche Weise umgegangen war“. Außerdem hatte er noch einige hundert Säcke gestohlen. Wir setzten einen neuen Projektleiter ein – einen ganz bürgerlichen mit Krawatte und Auto; aber nach nur einem halben Jahr hatte er schon eine halbe Million veruntreut und die Polizei fand ihn schließlich versteckt unter dem Bett seiner Freundin.

Danach haben wir die Vorschriften so streng verschärft, dass Betrügereien unmöglich wurden  – aber die tägliche Arbeit auch!  Jeder noch so winzige Arbeitsvorgang erforderte die Unterschrift von drei verschiedenen Personen, die meist nicht alle gleichzeitig erreichbar waren. Nach einem Jahr gab der neue Leiter des Projekts entnervt auf – diese Aufgabe war so einfach nicht zu bewältigen. Danach bot uns ein idealistischer junger Mann an, diese Aufgabe zu übernehmen. Er stellte eine Sekretärin ein, die wirklich betrügerische Ambitionen entwickelte. Zu dieser Zeit hatten die Schulden bereits ein Ausmaß erreicht, das uns zwang, das Projekt zu stoppen. Wir empfanden das als wirkliche Katastrophe, nachdem sich so viele Menschen so lange Jahre um dieses Projekt bemüht hatten – und jetzt dieses Ende ! Gutachter aus Nairobi waren mit Ihrer Beurteilung schnell bei der Hand: „Sie hätten die Kontrollen verschärfen sollen“, war ihr Urteil – das war alles, was sie dazu zu sagen hatten.

Experten aus Nairobi halfen uns, einen neuen „Fünf-Jahres-Plan“ zu erstellen; nach dessen Fertigstellung schien er uns aber unausgereift, denn die Bedürfnisse der Gemeinde waren in dem Plan nicht berücksichtigt worden. Also wurde eine umfangreiche wissenschaftliche Einschätzung der Lage zu Beginn dieses Jahres vorgenommen. Als die Resultate im Februar bekannt wurden, schien der Plan beträchtlich von den Anforderungen der Gemeinde abzuweichen. Es ist jetzt unsere Aufgabe, die Bedürfnisse der Gemeinde und den „Fünf-Jahres-Plan“ aufeinander abzustimmen, damit die Arbeit weiter gehen kann.

Viele von Euch werden sich fragen, ob das Pandipieri-Team auch im vergangenen Jahr wieder an den Tagen zwischen Weihnachten zum Camping gewesen ist. Ja klar – dieses Camping verbindet uns und stärkt die Freundschaft. Dieses Mal sind wir mit den alten bekannten Team-Mitgliedern campen gewesen, die auch mit vielen von Euch befreundet sind. Wir waren vier Tage lang im Kakamega-Wald: 15 Erwachsene und 15 Kinder. Am Parkeingang mussten wir Tickets kaufen: 30 x 4 sind 120 Tickets – nur um in den Park zu gelangen. Dann noch weitere 120, um dort zelten zu dürfen. Das sind insgesamt 240 Tickets. Jedes dieser 240 Tickets wurde insgesamt dreimal abgestempelt – also 720 Stempel; dann wurden die 240 Tickets abgerissen (jetzt waren es 480 Teile).
Dabei haben wir hier  noch nicht einmal die Tickets für die Autos mit gezählt! Aber die Tage dort waren wunderbar. Das alte Team fand das Leben dort schwierig; sie lehnten sich zurück und fühlten sich nicht gezwungen, ihren reichen Erfahrungsschatz und ihr Wissen in Arbeit umzusetzen.

Kürzlich haben – für dortige Verhältnisse –  relativ friedliche Wahlen in unserem Nachbarland Uganda statt gefunden. In unserer Zeitung konnte man lesen, dass die Bediensteten eines Gefängnisses in  Arua im Norden Ugandas den Sieg ihres Kandidaten so hemmungslos feierten, dass 400 Häftlinge leise das Gefängnis verlassen und fliehen konnten.

Liebe Freunde – Euch allen viele liebe Grüße und herzlichen Dank für Eure kontinuierliche Unterstützung. Mir selbst geht es soweit ganz gut.

Hans Burgmann

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