„Was ich in den letzten 30 Jahren in Kisumu gelernt habe“
Da sich Hans Burgmann während seiner Tätigkeit in Kenia mit vielen verschiedenen Situationen konfrontiert sah, musste er verstärkt auf die lokalen kulturellen Strukturen achten. Im vergangenen Jahr schrieb er eine Zusammenfassung seiner diesbezüglichen Erfahrungen. Diese sehr interessante Zusammenfassung besteht aus drei Teilen; in diesem Newsletter stellen wir Euch den dritten und letzten Teil der „Erfahrungen von Hans Burgman“ vor:
Eine Kultur ohne Geld
Beschreibung
Traditionell kam die hiesige Kultur immer ohne Geld aus. Geld hat hier nur eine Tradition von etwa 100 Jahren. Handel gab es davor nur in Form von Warenaustausch. Schon aus diesem Grund unterscheidet sich der Umgang mit Geld hier von dem Umgang mit Geld im Westen. Für die Europäer ist Geld der Gegenwert von Waren oder Arbeit; von daher ist Geld eine abstrakte Sache. Für die Menschen hier bedeutet Geld eher „Glück haben“ oder „reich sein“ – beides ist gleichbedeutend mit Macht. Viele Menschen können den Verlockungen des Geldes nur schwer widerstehen – sei es rechtmäßig oder auch widerrechtlich.
Der neue Charakter des Geldes hat beträchtliche Konsequenzen:
-Viele Menschen sind sich der Grammatik und Synthax des Geldes nicht bewusst; sie erkennen nicht, dass Geld seine eigenen Gesetze hat. In den Augen der Europäer gehen die Menschen hier mit Geld ein viel zu hohes Risiko ein; und sie tragen den Verlust von Geld mit Resignation.
-Im Handel hängt der Wert der Ware von der Klugheit und List des Händlers ab und unterscheidet sich von Kunde zu Kunde – je nach finanziellem Potenzial; ein Europäer muss hier den doppelten Preis zahlen – „Skintax“ (Steuer aufgrund der weißen Hautfarbe, Anm. d. Übers.)
-Ein Budget basiert oftmals mehr auf Waghalsigkeit als auf einer genauen Kalkulation.
-Viele Menschen schöpfen jede Möglichkeit aus, Bücher und Zahlen zu fälschen, bevor sie ihre Schulden bezahlen. Oft sieht das so aus: nach einer gewissen Zeit zahlt jemand einen Teil seiner Schulden; lange Zeit danach zahlt er einen weiteren Betrag – der Rest der Schulden bleibt offen und wandelt sich um in eine Art „Freundschaft“, die es dem Verleiher erlaubt, von dem Schuldner in Zukunft Gefallen einzufordern.
-Wie ich schon viele Male zuvor gesagt habe, sind die Menschen hier Meister darin, Krisensituationen zu bewältigen – man nennt das Krisenmanagement. Wenn sie Pläne machen, habe ich häufig das Gefühl, dass sie schon für die zu erwartende Krise planen. Denn dann wissen sie rechtzeitig, wie sie damit umgehen können.
-Weil Geld auch eine Sache des Glücks ist, wird ein kluger Mensch auch schlau genug sein, in seine Freundschaft mit Gott zu investieren; denn Gott ist der Urheber allen Glücks.
Lehrstunden
Europäer sollten nicht glauben, dass ihre technokratische wirtschaftliche Kultur besser als unsere Kultur ist. So ist es nicht – ungeachtet der materiellen Reichtümer in Europa. Die Menschen hier scheinen mehr Sinn für das menschliche Miteinander zu haben als die Europäer und das ist sicherlich ein Zugeständnis an ihre Kultur. Auch ihr Lachen scheint uns zu sagen, dass der Stress ihnen nicht so viel anhaben kann. Ihre Körper sind von den Auswirkungen des Luxus noch nicht verunstaltet und ihre Konstitution ist oft besser als die der Europäer. Sie haben eine glückliche Hand, ihre kleinen Kinder zu Mitgliedern ihrer Gemeinschaft zu erziehen; dadurch sind die Jugendlichen hier weniger tölpelhaft als im Westen.
Europäer sollten folgendes zur Kenntnis nehmen:
-Wenn sie ihr Geld vergeuden, verletzen sie die moralischen Normen anderer Menschen.
-Sie sollten anderen Menschen nicht ständig ihren Reichtum zeigen: das wird deren Vorstellungen beeinträchtigen und die „klare Sicht der Dinge“ verschwimmen lassen.
-Durch die Medien lernen die Menschen hier, dass Geld angeblich nahezu alle Probleme lösen kann, und dass man niemals genug Geld haben kann – eine ganz schlechte Lehrstunde.
-Während unserer Zeit haben wir oft gesehen, dass Dinge zerstört wurden, sobald zuviel Geld im Spiel ist; es ist, als hätte man ein Stück Land überdüngt.
-Die Menschen hier sind davon überzeugt, dass Europäer unbegrenzten Zugang zu Geld haben, und dass clever betteln der beste Weg ist, an dieses Geld heran zu kommen.
-Aber ohne jeglichen Schatten eines Zweifels möchte ich sagen: die Menschen hier haben viel zu wenig Geld.
Meinen Lehrern in Dankbarkeit
Hans