Liebe Freunde,
Der Abschied von Holland wurde mir schon dadurch leichter gemacht, weil man mich im Flugzeug gleich in die erste Klasse führte – mit Champagner und freundlichen Stewardessen. Eine von ihnen wollte von mir wissen, wie viele Sprachen ich spreche: Ich antwortete: „Eine Hand voll – unsere Dialekte und „Twentish“ aus dem Osten Hollands.“ Aufgeregt erzählte sie mir dann, dass ihr Vater auch aus dem Osten der Niederlande stammt und manchmal etwas zu ihr auf „Twentish“ sage; sie erinnerte sich jetzt an seinen Ausspruch und sprach es mir langsam und deutlich vor. ***** und ***** deiner Mutter *****; sie war sich nicht sicher, wann man diesen Ausspruch anwenden kann. (Ihr könnt Euch ja selbst in Eurer Phantasie ausmalen, was der Spruch bedeutet und es mir privat mitteilen; ich werde jedem von Euch die korrekte Version persönlich zusenden.)
Der neue Aufsichtsrat und das Management stehen vor vielen Problemen, die zum großen Teil ihre Ursache in den kulturellen Unterschieden haben. Weiße Menschen formulieren eine Entscheidung auf Papier – schwarz auf weiß sozusagen – das ist dann nahezu „heilig“, alle müssen sich fügen und alle können die Akten einsehen. Dies macht die Vorgänge demokratisch und transparent.
Die Menschen sind im Prinzip vielleicht sogar einverstanden – aber es gibt viele Dinge „zwischen den Zeilen“ – Andeutungen. Die Kultur hier bei uns misst den Menschen aber mehr Bedeutung bei als einem Stück Papier. Und dann es gibt da noch etwas anderes: in der Natur basieren alle Beziehungen auf der Kraft, die man hat; daraus resultierend basieren auch die menschlichen sozialen Beziehungen hier bei uns auf der individuellen Kraft und Macht. Demnach sollten Initiativen immer vom obersten Chef ausgehen. Die Macht und Kraft einer Person wird dadurch deutlich, wie diese Person ihren Willen durchsetzen kann.
Daraus könnt Ihr ersehen, welche Probleme erwachsen, wenn Kenianer eine höhere Position einnehmen: es gibt viele, die Befehle erteilen, wenig Absprachen und eine nur selektive Umsetzung früherer Entscheidungen. Kürzlich wurde ein neuer Fünf-Jahres-Plan erarbeitet und veröffentlicht. Er gab den europäischen Partnern das Gefühl, dass vieles, was in der Vergangenheit langsam aufgebaut wurde unterminiert wurde – manches hatte sogar den Beigeschmack von versteckten Agendas und Nebenabsprachen zwischen den verschiedenen Interessenvertretern.
Glücklicherweise bieten die gleichen kulturellen Unterschiede auch eine Lösung für solche Probleme. Indem man persönliche Beziehungen auf freundschaftlicher Basis pflegt, sollte auch eine Möglichkeit gegeben sein, alles unter Kontrolle zu halten.
Die wirklich freundschaftlichen Diskussionen ergaben, dass die neuen Gremien nicht selbstherrlich und autokratisch arbeiten wollen. Deswegen war es auch so wichtig, dass Henk Cliteur kam: er hat freundschaftlich mit allen Mitgliedern des Gremiums gesprochen. Ich möchte noch hinzufügen, dass unser Newsletter in diesem Zusammenhang auch eine Rolle spielt, denn er findet seinen Weg zu allen Personen, auch wenn sie unterschiedlichen Interessen vertreten.
Man kann sagen, dass die aktuellen Entwicklungen vor einer gefährlichen Herausforderung stehen. Aber es sind auch Lehrstunden, von denen wir alle profitieren können. Einerseits bin ich stolz, dass wir dieses Stadium erreicht haben – ein wichtiger Meilenstein in Richtung Zukunft. Der Entwicklungsstand der meisten Projekte ist so gut wie nie zuvor – sie verlieren sich nicht jenseits der Barmherzigkeit. Aber es ist hart, manchmal sogar nervtötend!
Alphonce Lumumba spielt in all diesen Turbulenzen eine Schlüsselrolle; er hat eine schwere Bürde zu tragen. Sein jüngerer Bruder ist an AIDS erkrankt – Endstadium. Seine Lungen kollabieren bereits. Seine Frau starb im vergangenen Jahr und Alphonce kümmert sich um die Kinder der beiden. Er geht täglich ins Krankenhaus, um nach seinem Bruder zu sehen und zahlt die hohen Krankenhausrechnungen. Ich kann nicht verstehen, wie er sich angesichts dieser Belastung noch um die Angelegenheiten von KUAP kümmern kann. Er lässt Euch alle grüßen – bitte denkt an ihn!
Die KUAP Probleme sind auch dadurch größer geworden, weil nicht ein einziges Mitglied des neuen Aufsichtsrates auf frühere Erfahrungen in der Arbeit mit Pandipieri zurück greifen kann. Das war vorhersehbar, und als die neuen Vorgaben der Regierung ausgearbeitet wurden, wurde den Mitgliedern des alten Pandipieri-Teams ein besonder Status zugewiesen. Sie sollten eine Gruppe von „Wächtern“ bilden, die den alten Geist Pandipieris am Leben erhalten und das bisher Erreichte schützen sollten. Bis jetzt sind diese „Wächter“ aber zu bescheiden gewesen. Wir schätzen durchaus, dass sie dem neuen Aufsichtsrat nicht als eine Art Bedrohung erscheinen wollen. Aber jetzt – wo ich zurück bin, werde ich versuchen, darauf einzuwirken, dass die Arbeit dieser „Wächter“ effizienter wird.
Noch vor Weihnachten werden wir ein schönes Fest für beide feiern – für das neue KUAP Management und für die „Wächter“; nach Weihnachten werden wir dann ein paar freie Tage in Kakamega Forest verbringen– zusammen mit den alten Teammitglieder – so wie in jedem Jahr!
Wie auch immer die Probleme auch aussehen mögen, es gibt immer viel darüber zu lachen. Laßt mich eine Geschichte über unsere Hühner erzählen:
Vor einiger Zeit kamen wir nach Kisumu zurück – es war am letzten Abhang bei dem Dorf Ojolla, wo wir einen Mann entdeckten, der am Straßenrand lag; bei ihm ein Fahrrad und eine Tasche Mais. Wir hielten an, um ihm zu helfen. Er war bei voller Geschwindigkeit gestürzt und sein Gesicht war vom Aufprall auf den Asphalt aufgeschürft. Wir nahmen ihn mitsamt seiner Maistasche mit; sein Fahrrad luden wir auf das Autodach.
Als wir im „russischen“ Krankenhaus ankamen, trafen wir zwei unserer Mitarbeiter – was für ein Glück! Wir baten den einen, auf das Fahrrad und den Mais aufzupassen und den anderen schickten wir zum Haus des verletzten Mannes, um die Familie zu benachrichtigen. Der Mann selbst wurde gleich medizinisch versorgt.
Als wir gehen wollten, rannte uns ein Pfleger nach und schrie: „Ihr könnt doch nicht einfach gehen ! Ihr habt den Mann doch vom Fahrrad gestoßen!“ Wir ignorierten ihn, aber wahrscheinlich hatte er unsere Autonummer. Als wir unsere Mitfahrer nach Hause brachten, warnten uns ihre Verwandten: „ Ihr seht – nehmt niemals jemanden mit, der am Straßenrand liegt; dieser Mann wird Euch vor Gericht ziehen und Schadensersatz von Euch verlangen.“
Wir entschieden uns, zurück zum Krankenhaus zu gehen, um zu sehen, wie es weiter ging. Dort in der Notaufnahme fanden wir unseren Mann – verbunden wie eine Mumie und umgeben von seinen Verwandten. Sie alle klatschten und dankten uns überschwänglich. Der Mann erzählte uns, dass er den Schwestern bereits gesagt habe, wie wir ihn vom Straßenrand aufgehoben hatten. Er war ein Prediger der Pfingstgemeinde und hat in großer Dankbarkeit für uns gebetet. Etwas erleichtert gingen wir nach Hause.
Einige Wochen später kam der gute Mann zu mir nach Hause und brachte mir eine schöne Henne als Zeichen seiner Dankbarkeit. Wir brachten diese Henne zu meinen anderen vierzehn Hühnern in das Hühnerhaus. Aber das neue Huhn war protestantisch und wollte nicht mit unseren katholischen Hühnern im Hühnerhaus schlafen – es verbrachte die Nacht draußen hoch oben auf einem Baum.
Einen Monat später brachen Dieben nachts in unser Hühnerhaus ein; leise hoben sie ein Huhn nach dem anderen auf und trugen sie durch ein Loch im Zaun in ihren dort wartenden Wagen. Aber die Henne auf dem Baum sahen sie nicht – wie war die einzige Überlebende. Von da an hatte diese Henne das ganze Hühnerhaus für sich alleine. Im Laufe der Zeit wurde sie die Mutter einer ganzen Schar von Küken – einer neuen Generation, die besser war als die, die wir zuvor hatten.
Also: immer anhalten, um denen zu helfen, die am Straßenrand liegen !
Ich wünsche Euch ein schönes Weihnachtsfest,
Hans Burgmann