Januar 2008

Liebe Freunde,

Danke für all Eure Briefe und Eure Anteilnahme; lasst mich Euch einen Überblick über die aktuelle Situation hier geben:

Beginnend mit mir selbst: Mir geht es gut; uns allen hier auf dem Gelände um die Kirche herum geht es gut. Es ist, als lebten wir auf einer Oase des Friedens mitten in einem barbarischen Dschungel. Während ich Euch hier diesen Brief schreibe, rattern draußen auf der Straße die Lastwagen mit Soldaten vorbei – so nah, dass mir das Knallen der Tränengasgranaten in den Ohren dröhnt. Millymolly hat mich gerade angerufen und mir mitgeteilt, dass die Straße nach Pandipieri vor ihrem Haus schon wieder durch brennende Autoreifen und lärmende Hooligans blockiert ist. Autos können keine mehr passieren; nur Fußgängern ist der Durchgang erlaubt, vorausgesetzt, dass sie keine Taschen oder Gegenstände bei sich tragen. Ich vermute noch – vorausgesetzt, dass es nicht um Kikuyus handelt.

Letzte Nacht wurde ein Kikuyu in unserer Nachbarschaft ermordet. Gestern morgen stand ich auf der kleinen Terrasse bei unserer Küche und sah schwarzen Rauch von brennenden Barrikaden aufsteigen. Links und rechts von mir und geradeaus hörte man das Dröhnen der Tränengasgranaten und die scharfen Schüsse aus Gewehren. Draußen auf der Straße sprach ich dann mit Müttern, die in großer Eile waren, um Ihre Kinder aus der Schule abzuholen. Später hörte ich dann, dass zwei Menschen getötet worden waren: einer von ihnen war der Wachmann der Lion’s High School. Eine Bande hatte das Gelände der Schule besetzt, um die Schüler aus der Schule zu jagen und – vermutlich, um die Schule in Brand zu setzen. Als dann die Polizei eintraf, erschossen Sie den Wachmann Warum ? Machen wir alle nur noch Fehler ?

Die Menschen hier haben vor vielen Dingen große Angst – und sie haben allen Grund dazu; sie sind wie eine Herde von Schafen, die von einigen Hyänen angegriffen werden. Aber diese Angst vergrößert die Gefahr noch. Immer wieder erlebe ich, wie sich selbst gegenseitig Gerüchte erzählen und damit noch mehr in Angst versetzen.

Es gibt Gegenden in diesem Land, wo die Zustände furchtbar sind – jeden Tag werden hier Dutzende von Menschen ermordet. Gestern rief mich Tabu an; sie lebte als kleines Mädchen in Pandipieri. Tabu lebt jetzt in Molo und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Dort in Molo hat Tabu mit unserer Hilfe und mit dem Geld von der Versicherung nach ihrem Autounfall fünf Häuser für Straßenkinder errichtet. Als sie mich anrief, saß sie mit ihren Kindern inmitten einer wütenden Bande von Kikuyo Hooligans, die drohten, ihr Haus in Brand zu setzen. Weit und breit war keine Polizei zu sehen, die Straße war unpassierbar und keiner, den sie telefonisch um Hilfe rufen wollte, war zu erreichen.
Dann erwischte sie mich und sagte ganz leise: „Hallo, alter Junge, die Dinge laufen hier gerade gar nicht gut.“ Was sollte ich tun ? Sie war mehr als 200 km weg von mir, die Straßen blockiert und keiner war zu erreichen. Bis jetzt weiß ich nicht, ob sie noch am Leben ist.

Veronica Nieri, die Mutter von Tabitha (das ist das Mädchen, das seinen Bruder vor vielen Jahren unabsichtlich getötet hat), ist eine Kikuyu und dadurch auch in Gefahr. Sofort nach Ausbruch der Unruhen nach der Wahl hat man ihr Restaurant niedergebrannt und sie suchte Schutz bei uns. Ihr Mann Paul ist seit seinem Schlaganfall schwer behindert und geht nicht mehr aus dem Haus. Aber nach einigen Tagen kam auch er zu uns. Durch seine Krankheit konnte er aber nicht auf dem Boden des Gemeindehauses schlafen und unser „Guter Samariter“ Luo lud ihn zum Schlafen in sein Haus ein. Ich musste ihn jeden Tag nach dem Einbrechen der Dunkelheit heimlich zu Luos Haus bringen. Vor zwei Wochen gelang den beiden die Flucht in die Umgebung von Molo, wo ihnen ein kleines Grundstück gehört. Aber seitdem ist gerade dort auch die Hölle los; es sieht so aus, als wären die beiden vom Regen in die Traufe gekommen. Auch von ihnen habe ich danach nichts mehr gehört und ich weiß nicht, ob sie noch am Leben sind.

Im Moment gehen Banden von Haus zu Haus, um versteckte Kikuyus aufzustöbern und sie zu töten. Autos und Busse werden auf den Straßen angehalten und den Fahrern und Mitfahrern droht das gleiche Schicksal.

Es ist keine Lösung in Sicht. Die politischen Führer leben in teuren Hotels in Nairobi und suchen nach einem Sündenbock für die derzeitige Situation. So zumindest sieht es für uns aus. Das Leben in Kisumu Stadt ist wie gelähmt. Die Schulen sind geschlossen, die Geschäfte öffnen nur sporadisch. Ich kann nicht viel tun. Ich schlafe viel, denn ich bin sehr müde.

Meine Pläne bezüglich meines Umzugs nach Nairobi liegen auf Eis. Ursprünglich wollte ich am Sonntag nach Ostern nach Nairobi umziehen. Aber in dieser kritischen Situation kann ich meine Gemeinde nicht alleine lassen – also habe ich meine Pläne erst einmal auf Juli verschoben.

Viele Grüße

Hans Burgman

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