Liebe Freunde,
mein 80. Geburtstag am 16. Dezember 2008 war ein ausgelassenes Fest – besonders deshalb, weil auch meine zwei Brüder Bert und Eugène da sein konnten. Sie blieben für einen Monat und wir drei hatten eine wunderschöne gemeinsame Zeit.
Eines der Dinge, die wir unternahmen, war ein Besuch des kommunalen St. Martin Projektes in Nyahururu. Dieses Projekt basiert auf einer Pandipieri-Idee; die Menschen dort sind von der Arbeit in Pandipieri fest überzeugt. Dieses Projekt beruht nicht darauf, unterstützend für eine Kommune zu arbeiten, sondern es ist das Ziel dieses Projektes, die Verantwortlichen dahingehend zu überzeugen, dass sie ihre eigenen Programme entwickeln, um die vorherrschenden Probleme zu lösen. Das ist die ursprüngliche Bedeutung des in Pandipieri geprägten Begriffs „capacity building“ – ein Begriff, der später von einigen in „staff training“ (Ausbildung) erhielt.
Ich hatte gerade eben noch Zeit genug, ein Auto zu kaufen – groß genug für uns drei. Mein altes Auto hatte ich in Pandipieri gelassen – es war zu groß für Nairobi und hatte einen zu hohen Benzinverbrauch. Jetzt bin ich stolzer Besitzer eines Gebrauchtwagens der Marke Toyota Fitz. Dieses Modell wird hier sehr günstig angeboten – es ist ein Auto, das reiche Männer für ihre Geliebten kaufen. Männer fahren dieses Auto nicht gerne – es scheint nicht den gewünschten Macho-Effekt oder was auch immer zu haben. Ihr seht – in dieser Beziehung muss ich also selbst tätig werden.
Ende Januar war ich erneut in Kisumu. Gerry Mooij war zurück und strahlte mich an: er war an beiden Augen erfolgreich am Grauen Star operiert worden und konnte noch gar nicht viel zu seiner näheren Zukunft sagen.
In Pandipieri nahm ich als Mitglied des „Fund raising Committee“ (Mittelbeschaffung) an einem Treffen teil. Es gibt viele Spender, die sich fragen, wie die Dinge in Zukunft sein werden, während ich jetzt in Nairobi lebe; ich kann sie alle beruhigen. Alle Gelder von meinen Freunden werden nach wie vor über mich verteilt – so, wie das auch in den letzten 10 Jahren der Fall war. Auch in diesem Monat werde ich wieder nach Pandipieri fahren, um die Situation vor Ort selbst zu prüfen.
Soweit es das Pandipieri Centre betrifft, kann ich sagen, dass die neue Halle wunderbar werden wird. Sie wirkt zwar ein bisschen eingeklemmt zwischen den anderen Gebäuden – aber so ist es hier nun einmal. Vor zehn Jahren wurde eine hohe Mauer um das Zentrum herum gebaut, um die Spitzbuben draußen zu halten; jetzt habe ich das gute Gefühl dass Pandipieri langsam über diese Mauern „klettert“ – zurück ins Zentrum.
Pandigraphics hat sich von dem furchtbaren Brand im letzten Jahr erholt und die Arbeit wieder aufgenommen. Das neue Gebäude der Magadi Girls Domestic School (Haushaltsschule) ist nahezu fertig. Vieles ist im Umbruch und Neustart begriffen, aber letztlich geht alles gut. Josephine geht es derzeit nicht so gut. Ich fand sie in ihrem Stuhl vor dem Haus sitzend und sie war nur halb bei Bewusststein. Zusammen mit Freunden haben wir einen Rollstuhl für sie beschafft, damit sie ein wenig beweglich ist. Paul Ochola hat KUAP verlassen; von der alten Garde ist nur noch Mary aus Kizito im Nyalenda Centre übrig.
Das OMA-Projekt für die AIDS-Waisen entwickelt sich weiterhin gut; inzwischen gibt es noch ein weiteres Krankenhaus, das auf dieser Basis mit uns zusammen arbeitet. Auch jetzt – während ich Euch schreibe – werden sechs Menschen mit Unterstützung aus diesem Projekt im Krankenhaus behandelt und freuen sich darüber, dass sie über das OMA-Projekt entsprechend versichert sind. Der neue Gemeindepriester von Milimani – Emmanuel – unterstützt dieses Projekt ebenfalls. Wenn auch Ihr helfen wollt, verseht Eure Spende mit dem Vermerk „H.Burgman, OMA-project“.
Die landesweite Katastrophe des vergangenen Jahres ist noch immer allgegenwärtig. Vielleicht erinnert Ihr Euch an meinen Bericht über die junge Luo-Frau Tabu, die ständig auf einen Rollstuhl angewiesen ist: Sie rief mich von Molo aus an und erzählte mir, dass sich die verschiedenen Stämme untereinander angreifen und auch sie und ihre vier Kinder bedroht werden. Als ich das letzte Mal auf dem Weg nach Kisumu war, rief ich sie an. Gott sei Dank war ihr nichts Schreckliches passiert. Die Mieteinnahmen halten sie über Wasser.
Zusätzlich strickt sie Tischdecken und Bettüberwürfe – ein braves Mädchen. Ich fragte sie, wer sie und ihre Kinder bedroht hatte – es waren die Kinder der Gemeindemitglieder, die ihr vorher beim Bau des Hauses geholfen hatten. Nun schauen sie sich gegenseitig nicht einmal mehr an; ihre Beziehung zueinander ist völlig vergiftet. Im gleichen Bericht damals erzählte ich von Veronica – dieses Mal begleitet sie mich nach Kisumu; dort will sie versuchen, einige ihrer Habseligkeiten zurück zu bekommen (Gesamtwert: ca. 6000 Euro). Ich glaube nicht daran, dass sie Erfolg haben wird. Auch das ist eine Art Gift. Nun will sie eine kleine Bude in Kikuyuland eröffen – noch eine starke Frau.
Wenn wir hier aus dem Fenster sehen, haben wir einen guten Blick auf die gigantischen Elendsviertel „Kibera“. Hunderttausende Menschen leben dort unter unglaublichen Umständen. Wenn man dieses Viertel zum ersten Mal sieht, fühlt man den Ärger in sich hochsteigen. Wie kann so etwas nur passieren? Wie können Menschen gezwungen sein, unter solchen elenden Bedingungen ihr Leben zu fristen? Aber wenn man sich genauer umsieht, fallen einem merkwürdige Dinge ins Auge.
Das Land zum Beispiel gehört niemandem – es gehört der Regierung und die Einwohner von Kibera leben dort illegal Allerdings haben einige Reiche von den Behörden eine Genehmigung bekommen, auf diesem Gelände Baracken zu errichten und zu vermieten.
Diese Eigentümer tun nichts, außer dass sie gerade so den Erhalt der Baracken sichern; wenn die Menschen, die diese Baracken gemietet haben, Reparaturen vornehmen wollen, müssen sie zuvor Geld an den Eigentümer zahlen, damit er ihnen überhaupt erlaubt, die Baracke zu reparieren – selbstverständlich auf ihre eigenen Kosten ! Jegliche Infrastruktur fehlt: Straßen, Abwasserentsorgung, Müllabfuhr, Elektrizität, Sicherheit und Wohnflächen. Es gibt nur wenige Toilettenanlagen und noch weniger Brunnen.
Trotz allem leben die Menschen gerne hier, denn das Leben ist hier vergleichsweise billig, Stadtzentrum und Industriegebiete mit vielen Firmen sind in der Nähe und damit auch die Arbeitsmöglichkeiten. Die wirkliche Frage aber, die ich mir stelle, ist: Sollte man Menschen wirklich erlauben, mit einer solchen Situation zufrieden zu sein ?
Rund um die Slums gibt es große Appartments, die für die Menschen von Kibera (500 000? 700 000? 1 000 000?) gebaut wurden; die aber wollen nicht in diese Appartments ziehen, weil die Mieten zu hoch sind. Auch ich habe hier keine Idee, wie man dieses Problem lösen könnte. Kann die Regierung sie dazu zwingen? Ich glaube, die Slumbewohner werden nur sagen: sollen sie doch kommen und versuchen, uns zu zwingen !
Jeden Sonntagmorgen kann man den Gesang aus den unzähligen kleinen Kirchen in der ganzen Umgebung hören. Mexikanische katholische Missionare bauen gerade eine riesige Kirche mit allen möglichen Einrichtungen inmitten dieses Chaos; eine dreistöckige Bibliothek ist bereits fertig und jeden Morgen stehen die Jugendlichen davor Schlange und wollen eingelassen werden. Ich denke, dass diese verrückten Mexikaner eine gute Sache geschaffen haben und vergleiche das mit unserer eigenen Kunstschule (Art Academy) in den Slums von Nyalenda – manche halten dies sicher auch für eine verrückte Idee. Aber im vergangenen Jahr wurden drei unserer ehemaligen Schüler für einige Monate nach Dänemark eingeladen, um ihre Werke bei einer Ausstellung afrikanischer Künstler zu präsentieren – wer hätte gedacht, dass es für sie jemals so eine Gelegenheit ergeben würde?
Einige von Euch werden sich fragen, wie es meiner Nase geht; in meinem letzten Brief erwähnte ich, dass während meiner Hautkrebsoperation Haut von meinem Hals auf die Nase transplantiert wurde. OK – meine pessimistische Vorahnung hat sich bestätigt: auf dem betroffenen Nasenflügel wachsen tatsächlich Barthaare – sehr feine zwar aber immerhin einige Zentimeter lang. Was soll ich tun ? Wenn ich sie wegrasiere – werden sie dann nicht um so stärker wachsen ? Das behaupten die Leute jedenfalls immer.
Danke für all Eure lieben Grüße und für die schönen Geburtstags- und Weihnachtskarten. Erst kürzlich habe noch eine bekommen – sie hatte eine Reise über Thailand gemacht.
Ich wünsche Euch allen ein gesegnetes Osterfest.
Hans